Klin Padiatr 2010; 222 - GNPI_PO_116
DOI: 10.1055/s-0030-1261583

Neugeborenes mit Extremitätenduplikationen und weiteren Fehlbildungen im Sinne eines „Dysorganization-like“ Syndroms*

K Steul 1, S Böckelmann 1, M Bartsch 1, O Bartsch 2, M Dennebaum 1, B Siegmund 1, D Macchiella 3, E Mildenberger 1
  • 1Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsmedizin Mainz, Mainz
  • 2Institut für Humangenetik, Mainz
  • 3Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe und Frauenheilkunde, Mainz

Hintergrund: Das 'Disorganization-like syndrome' bezeichnet einen seltenen Fehlbildungskomplex mit Fehlbildungen der Extremitäten (Extremitätenduplikationen und Polydaktylien). Es werden auch Neuralrohrdefekte sowie Fehlbildungen des Urogenitaltraktes und des Intestinums beschrieben. Fallbericht: Wir berichten über ein reifes, weibliches Neugeborenes nicht konsanguiner Eltern. Zwei ältere Brüder zeigen keine morphologischen Auffälligkeiten. Bereits pränatal waren sonographisch eine singuläre Umbilikalarterie, Fehlbildungen des Urogenitaltraktes und der rechten unteren Extremität diagnostiziert worden. Die Fruchtwasseranalyse erbrachte einen numerisch und strukturell unauffälligen Chromosomensatz (46, XX). Das Neugeborene zeigte eine Duplikation der rechten unteren Extremität und ein popliteales Pterygium. Die Wade wies zwei zusätzliche knöcherne Anteile (rudimentäre Fußanlagen) bei Equinovarus und Hexadaktylie des rechten Fußes auf. Weiterhin bestanden eine Analatresie und eine kloakale Fehlbildung mit Doppelnieren beidseits, Megaureteren und einer Dilatation der Nierenbeckenkelchsysteme. Auf der rechten Seite zeigte sich ein zystisch-dysplastisch veränderter Anteil des oberen Nierenpoles. Diskussion: Die vorliegende Symptomenkombination lässt sich dem 'Disorganization-like syndrome'zuordnen. Die unter diesem Namen zusammengefassten Symptome beim Menschen erinnern an Entwicklungsdefekte der Disorganization (Ds) Maus. Das dabei beschriebene Spektrum von Defekten umfasst Hamartome, Extremitätenduplikationen, Neuralrohrdefekte sowie urogenitale oder gastrointestinale Fehlbildungen. Jüngere Untersuchungen weisen darauf hin, dass das Ds-Gen in der Maus dominant vererbt wird. Man beobachtet eine sehr geringe Penetranz (0–30%) und eine sehr variable Expression des Phänotyps. Es wird auch ein 'two-hit'-Modell zur Erklärung der Pathogenese heran gezogen. Weiterhin werden Überschneidungen mit der Amnionband-Sequenz diskutiert. Die Ds-Mausdaten legen nahe, dass es sich bei dem Ds-Gen um ein übergeordnetes Entwicklungsgen handelt. In der Ds Maus wurde der Genort in einer 350-kb-Region auf Chromosom 14 lokalisiert. Das Gen konnte bisher jedoch weder bei der Maus noch bei dem Menschen identifiziert werden. Schlussfolgerung: Der bei dem Kind beschriebene Symptomenkomplex kann klinisch als 'Disorganization-like'-Syndrom charakterisiert werden. Die Aufklärung des möglicherweise zugrunde liegenden Gendefekts ist bisher nicht möglich.

*diagnostiziert von Prof. Dr. J. Spranger, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin Mainz