Klin Padiatr 2010; 222 - GNPI_PO_80
DOI: 10.1055/s-0030-1261548

HPA-kompatibles oder unausgewähltes Thrombozytenkonzentrat bei neonataler Alloimmunthrombozytopenie? Erfahrungen eines Zentrums

V Hermanns 1, J Schulze 2, J Dinger 1, K Hölig 3, A Rosner 3, R Knöfler 1
  • 1Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Kinderklinik, Dresden
  • 2Klinik für Kinderkardiologie, Universitätsklinikum Leipzig, Herzzentrum, Leipzig
  • 3Transfusionsmedizin, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Medizinische Klinik und Poliklinik I, Dresden

Einleitung: Etwa ein Drittel aller neonatalen Thrombozytopenien wird durch Antikörper gegen Thrombozyten verursacht, wobei die neonatale Alloimmunthrombozytopenie (NAIT) von der maternalen Autoimmunthrombozytopenie abzugrenzen ist. Mit einer erwarteten Inzidenz von 1 auf 1000 Lebendgeborenen wird die NAIT oft nicht erkannt und bleibt dann auch unbehandelt. Analog zur Pathogenese der Rhesusinkompatibilität kommt es bei der NAIT durch den Übertritt von mütterlichen Alloantikörpern der Immunglobulin G Klasse – meist gegen das paternal vererbte humane Plättchenantigen (HPA)-1a gerichtet – zu einer Destruktion der kindlichen Thrombozyten. Obwohl der klinische Verlauf in Abhängigkeit von der Antikörperkonstellation variiert, sind aufgrund des hohen Blutungsrisikos eine rasche Diagnosestellung und Therapieeinleitung unerlässlich. In der Literatur wird die Gabe HPA-kompatibler Thrombozyten oder gewaschener Thrombozyten der Mutter empfohlen.

Methode: Daten von 14 Patienten mit serologisch bestätigter NAIT aus den Jahren 2002 bis 2009 wurden retrospektiv analysiert. Dabei handelt es sich um 8 reifgeborene und 6 frühgeborene Kinder.

Ergebnisse: Bei 11 von 14 Kindern lag eine initiale Thrombozytopenie mit Werten unter 50.000/µl vor. In elf Fällen wurde eine anti-HPA-1a-, in zwei eine anti-HPA-5b- und bei einem Kind beide Antikörper-Konstellationen nachgewiesen. Zwei der Kinder erhielten bereits pränatal bei bekannter Diagnose und ausgeprägter Thrombozytopenie mehrere intrauterine Thrombozytentransfusionen. Klinisch zeigten 6 Kinder Blutungszeichen im Sinne von Petechien und/oder Hämatomen. Postnatal benötigten 6 Kinder mehrfach (2 bis max. 8) Thrombozytenkonzentrate (TbK). Davon benötigten 4 Patienten ausgewählte HPA-1a-negative TbK und bei 2 dieser Kinder wurde auch die zusätzliche Gabe von intravenösem Immunglobulin G notwendig. Bei 5 Kindern führte die einmalige Transfusion eines TbK, davon immerhin 4 Patienten mit unausgewähltem Konzentrat, zu einem ausreichenden und anhaltenden Thrombozytenanstieg. Drei Patienten wiesen einen spontanen Thrombozytenanstieg auf.

Sonographisch konnte eine intrakranielle Hämorrhagie bei fast allen Kindern ausgeschlossen werden, nur ein Säugling zeigte bereits am 1. Lebenstag eine hämorrhagische Infarzierung mit beginnender zystischer Umwandlung und Hirnödem Grad I-II°. Die Kinder wurden in unserer hämatologischen Ambulanz nachuntersucht und den Eltern aufgrund des hohen Wiederholungsrisikos eine genetische Beratung empfohlen. Schlussfolgerung: Entgegen der in der Literatur häufig genannten Therapieempfehlung zur primären Transfusion HPA-kompatibler TbK oder gewaschener maternaler Thrombozyten wurde bei fast der Hälfte (6 von 14) unserer Patienten mit NAIT durch die Gabe eines oder mehrerer unausgewählter TbK ein ausreichender Thrombozytenanstieg erzielt, sodass diese Maßnahme bei Blutungssymptomen und/oder einer Thrombozytopenie mit Werten unter 50,000/µl als Therapie der ersten Wahl empfohlen werden kann.