Klin Padiatr 2010; 222 - GNPI_PO_79
DOI: 10.1055/s-0030-1261547

Heterozygote SOX9 Mutationen mit Restaktivität bezüglich DNA-Bindung und Transkriptionsaktivierung führen zur acampomelen Form der campomelen Dysplasie

A Holzinger 1, A Staffler 1, AW Flemmer 1, T Nicolai 1, M Wegner 2, M Hammel 1
  • 1Neonatologie, Kinderklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital, Ludwig-Maximilians-Universität, München
  • 2Institut für Biochemie, Emil-Fischer-Zentrum, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen

Einleitung: Die campomele Dysplasie (CD, MIM#114290) ist ein Fehlbildungssyndrom mit Verkürzung und Verbiegung langer Röhrenknochen (Campomelie), Klumpfuß, 11 Rippenpaaren, hypoplastischen Scapulae, Makrozephalus, Mittelgesichtshypoplasie mit Hypertelorismus, Gaumenspalte und Hypoplasie der Mandibula. Lebenslimitierend sind respiratorische Probleme durch Unterentwicklung des Atemwegsknorpels mit Tracheobronchomalazie. Karyotypisch männliche Betroffene können phänotypisch weiblich sein (sex reversal). Ursache sind heterozygote Mutationen im Gen für SOX9, einem Transkriptionsfaktor, der die Entwicklung der Hoden und von Chondrozyten und Knorpelgenen steuert. Bei milden Fällen fehlt die eponyme Veränderung Campomelie, oder auch das sex reversal. Eine Genotyp-Phänotyp-Korrelation ist nicht bekannt. Fallberichte: Fall 1. Ein karyotypisch und phänotypisch männliches Neugeborenes zeigte postnatal Zeichen respiratorischer Insuffizienz und wurde beatmet. Es finden sich typische Zeichen der CD, aber keine Campomelie. Tracheobronchomalazie führte zu massiver Überblähung des linken Oberlappens, der entfernt werden muss. Das Kind wurde zunächst von der Beatmung entwöhnt, aber ab dem Alter von 16 Monaten über eine Trachealkanüle heimbeatmet, ab dem Alter von 24 Monaten nur nachts. Fall 2. Das karyotypisch weibliche Neugeborene zeigte eine fast identische klinische Präsentation und Untersuchungsergebnisse. Zudem lag eine Hyperlordose und Skoliose der Brustwirbelsäule vor. Das Kind war nicht von mechanischer Beatmung zu entwöhnen und wurde bis zum jetzigen Alter von 3 Jahren kontinuierlich heimbeatmet. Methoden: Mutationsanalyse. Wir sequenzierten alle Exons des SOX9 Gens der Indexpatienten. Die Eltern der Patienten wurden nur im betroffenen Exon untersucht.

Indirekte Immunfluoreszenzanalyse/Western Blot. Wir erstellten Expressionskonstrukte mit Wildtyp und mutierter SOX9 cDNA. Damit wurden COS7 Zellen transfiziert und die subzelluläre Lokalisation beobachtet. Im Western Blot wurde die Proteinmenge vergleichend untersucht.

DNA-Bindungsstudien. In Electrophoretic Mobility Shift Assays mit verschiedenen DNA-Oligonukleotiden, die SOX9 binden, wurde die DNA-Bindungsfähigkeit von Mutanten und Wildtyp untersucht. Luciferase-Transaktivierungsassays verglichen die Konstrukte bezüglich der Fähigkeit, die Promotoren SOX9-abhängiger Gene zu aktivieren. Ergebnisse: Wir fanden bisher unbekannte Neumutationen, die die DNA-bindenden Domäne von SOX9 betreffen (Fall 1: c.495C>G, p.His165Gln; Fall 2: c.337A>G; p.Met113Val). Wildtyp und mutierte Proteine zeigten vergleichbare Expression und wurden effektiv in den Zellkern importiert. Sowohl DNA-Bindung als auch Transaktivierung SOX9-abhängiger Promotoren war für die Mutationen deutlich reduziert, lag aber höher als die Nullwerte.

Diskussion: In beiden Fällen ließ sich eine SOX9 Restfunktion in der DNA-bindenden Domäne mit der acampomelen Verlaufsform assoziieren. In 11 Fällen von acampomeler CD aus der Literatur fehlen zwar funktionelle Daten von SOX9, aber im Gegensatz zu CD finden sich ausschließlich mit Restfunktion vereinbare Mutationen. Schlussfolgerung: Die milde, acampomele Verlaufsform wird von heterozygoten SOX9-Mutationen mit Restfunktion verursacht. Ein Langzeitüberleben von solcherart Betroffenen unter Beatmung ist möglich.