Klin Padiatr 2010; 222 - GNPI_PO_39
DOI: 10.1055/s-0030-1261500

Seltene Ursache des Atemnotsyndroms eines Reifgeborenen

J Busse 1, S Bechtold 1, S Behrendt 1, S Henneberger 1, HP Schwarz 1, O Genzel-Boroviczény 1, S Hiedl 1
  • 1Klinikum der Universität München, München

Hintergrund: Das Atemnotsyndrom (ANS) ist eine durch Surfactantmangel bedingte Erkrankung der funktionell und morphologisch unreifen Lunge. Während 60–80% der Frühgeborenen <28. SSW an einem ANS erkranken, findet sich dies nur bei 2% der Neugeborenen >35. SSW. Fallbericht: Wir berichten über ein weibl. Reifgeborenes der 38. SSW einer 32-jährigen, indischen Mutter (3G, 3P). Nach unauffälliger Schwangerschaft erfolgte die Geburt bei Z.n. Sectio und vorz. Wehentätigkeit durch sek. Sectio. Bereits unmittelbar postnatal zeigte das Kind eine resp. Anpassungsstörung, die eine pharyngeale Beatmung notwendig machte. APGAR: 9/8/9, NS-art-pH: 7,29, Gew.: 2501g (9. Perz.).

Bei zunehmenden O2-Bedarf bis 70% und ANS III° erfolgte am 2. Lebenstag die Intubation und eine einmalige Surfactantgabe mit erfolgreicher Extubation nach 2 Tagen. Zudem fielen bei der Patientin rezidivierende Hypoglykämien, eine Trinkschwäche, eine Gedeihstörung und eine Hyperbilirubinämie auf. Das erste Kind der Familie verstarb am 19. Lebenstag an kardiorespiratorischem Versagen. Das zweite Kind ist wie die, nicht konsanguinen Eltern gesund. Diagnose: Aufgrund des für ein Reifgeborenes seltenen ANS wurden die Schilddrüsenparameter bestimmt. Hier zeigte sich eine zentrale Hypothyreose. Die weitere Diagnostik ergab einen GH-Mangel, ein erniedrigtes LH bei niedrig normalem Cortisolwert und damit die Diagnose eines Panhypopituitarismus. Molekulargenetisch fand sich eine Mutation im Gen des Transkriptionsfaktors LHX3. Unsere Patientin ist homozygote Trägerin einer Threonin194/Arginin-Substitution: Homeodomäne des Proteins, Exon 4 auf Chromosom 9. Unter der Therapie mit L-Thyroxin, Wachstumshormon und Hydrocortison zeigten sich erstmals eine stetige Gewichtszunahme und stabile Blutzuckerwerte. Die Sonografie des Schädels war unauffällig. Die BERA-Untersuchung ergab zweimal einen negativen Befund. Aufgrund der bisher nicht beschriebenen Mutation wird derzeit die genetische Untersuchung der Eltern und des verstorbenen Geschwisterkindes (asservierte Fibroblasten) zum Ausschluss eines Polymorphismus durchgeführt. Eine MRT Untersuchung folgt in 3 Monaten.

Diskussion und Schlussfolgerung:

  • LHX3 steuert die Entwicklung des Hypophysenvorderlappens. Patienten mit Mutation im LHX3-Gen leiden an einer schweren Wachstumsretardierung, einem LH-, FSH-, TSH- und Prolaktinmangel. Häufig finden sich zudem eine eingeschränkte Rotationsfähigkeit des Halses und ein sensorineuraler Hörverlust.

  • Das Atemnotsyndrom ist durch die Beteiligung der Glucocorticoide und der Schilddrüsenhormone an der Surfactantsynthese zu erklären. Glucocorticoide stimulieren die Surfactant B/C Synthese in den Pneumozyten Typ II. Schilddrüsenhomone beeinflussen über den Transkriptionsfaktor NKX2.1 die Regulation der Surfactantbildung.

  • Bei einem Atemnotsyndrom unklarer Ätiologie sollte eine Kontrolle der Hypophysenhormone erfolgen (Thyreo-, gonado-, lakto-, cortico-, somatotrope Achse).