Klin Padiatr 2010; 222 - DGPI_PO_32
DOI: 10.1055/s-0030-1261448

Ein Hirnabszess durch Haemophilus aphrophilus bei einem 15 jährigen Jungen mit einem komplexen Herzvitium

F Langhammer 1, J Wirbelauer 1, T Schweitzer 1, A Quattländer 1, R Buchhorn 2, J Liese 1
  • 1Universitäts-Kinderklinik im Luitpold-Krankenhaus, Würzburg
  • 2Pädiatrie, Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim, Bad Mergentheim

Fallbericht: Aufnahme eines 15 jährigen Jungen mit 22q11 Mikrodeletion und nur teilkorrigierter Pulmonalatresie mit Ventrikelseptumdefekt (VSD) und multifokaler Lungenperfusion. In der Folge Unifokalisation mit Belassen des VSD und Sauerstoffsättigung um 88%. Eine linkshemisphärische Gehirnatrophie entwickelte sich nach einer paradoxen Embolie im Alter von 4 Jahren. Seitdem leidet der Junge unter einer fokalen Epilepsie mit 1–2 rechtsseitigen Anfällen pro Monat. Am Tag vor der Aufnahme starke Zunahme der Anfallsfrequenz (15–20 Mal/24h) mit Zeichen eines jetzt linksbetonten fokalen Anfalls. In der körperlichen Untersuchung gesteigerte Reflexe rechts, ein positives Babinski Zeichen links, eine Hemiparese und später Hemiplegie der linken Seite sowie eine motorische Apraxie. Unauffälliges Differenzialblutbild und Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit. Die Konzentration des C-reaktiven Proteins betrug 1,1mg/dl. Im Elektroenzephalogramm pathologischer Befund mit Verlangsamungsherd über der gesamten rechten Hemisphäre und sharp-wave Fokus links präzentral. Die kranielle Magnetresonanztomografie zeigte eine glatt begrenzte rechtshemisphärische Raumforderung mit hyperintensem Randsaum im nativen T1-Bild und ein perifokales Ödem. Unter der Verdachtsdiagnose eines Hirnabszesses zunächst vierfach antiobiotische Therapie mit Cefotaxim, Metronidazol, Fosfomycin und Ampicillin in Meningitisdosis. In der weiteren Vorgeschichte wurde die Anpassung einer lockeren Zahnspange 2 Wochen zuvor berichtet. Nach Bohrlochtrepanation ließen sich ultraschallgestützt 9ml flüssiger Pus gewinnen. Aus dem Abszessinhalt konnte Aggregatibacter aphrophilus in der aeroben Kultur angezüchtet werden. In vitro Nachweis der Sensibilität gegenüber Ampicillin und Cefotaxim. Weiterführung der antibiotischen Behandlung über insgesamt 4 Wochen. In der postoperativen Bildgebung komplette Rückbildung des Abszesses sowie Komplettremission der neurologischen Symptomatik mit Rückgang der Anfallsfrequenz. Zusammenfassung: Aggregatibacter aphrophilus (früher Haemophilus aphrophilus (HAEAP)) ist ein gram-negativer Keim mit niedriger Pathogenität und wird gewöhnlich in der normalen Mundflora gefunden. Allerdings wird er selten als Erreger bei Endokarditis, Osteomyelitis, septischer Arthritis und Hirnabszessen beschrieben. Unter den Fallberichten von Infektionen mit HAEAP finden sich bisher lediglich 3 Erwachsene mit Hirnabszessen, die ebenfalls nach operativen Zahneingriffen symptomatisch wurden. Unter Berücksichtigung des Herzfehlers mit bekanntem Rechts-Links-Shunt postulieren wir bei unserem Patienten eine hämatogene Streuung von Aggregatibacter aphrophilus von der besiedelten Mundschleimhaut nach vorhergehender Manipulation an der Zahnspange.