Klin Padiatr 2010; 222 - GNPI_FV_69
DOI: 10.1055/s-0030-1261404

Tyrosinämie Typ I – eine seltene Differenzialdiagnose des akuten Leberversagens im Säuglingsalter

S Grünert 1, M Fernando 1, JO Saß 1, KO Schwab 1, M Kartal 1, M Pohl 1, T Woltering 1, R Hentschel 1, A Superti-Furga 1, P Greiner 1
  • 1Universitäts – Kinderklinik, Freiburg

Hintergrund: Die Tyrosinämie Typ I ist eine seltene, autosomal rezessiv vererbte Stoffwechselstörung im Abbau der Aminosäure Tyrosin, die auf einem Mangel des Enzyms Fumaryl-Acetoacetat-Hydrolase beruht. Durch den Enzymdefekt kommt es zur Akkumulation hepatotoxischer Metabolite. Die Patienten präsentieren sich meist im Säuglingsalter mit einer akuten Lebererkrankung, die zu Erbrechen, Ikterus, Hepatomegalie, Ödemen, Aszites, Hypoglykämie und einer schweren Gerinnungsstörung führt und unbehandelt zur Leberzirrhose mit terminalem Leberversagen fortschreitet. Daneben können vor allem renale und neurologische Symptome auftreten. Die Tyrosinämie ist keine Zielkrankheit des Neugeborenen-Screenings in Deutschland. Die Therapie besteht in einer phenylalanin- und tyrosinarmen Diät sowie der medikamentösen Behandlung mit Nitisinon (NTBC), das die Bildung der hepatotoxischen Metabolite hemmt. Eine Langzeitkomplikation der Tyrosinämie ist die Entwicklung hepatozellulärer Karzinome. Fallbericht: Wir berichten über einen altersentsprechend entwickelten türkischen Jungen, bei dem im Alter von 8 Monaten eine Hepatosplenomegalie mit Transaminasenerhöhung, Gerinnungsstörung, Anämie und massiver Erhöhung des Alpha-Fetoproteins (AFP 380 000ng/ml) auffiel. Sonographisch und im MRT ließen sich multiple hyperintense, noduläre Leberherde sowie eine Splenomegalie nachweisen. Zudem bestand eine renale Tubulopathie mit Aminoazidurie. Das selektive Screening auf angeborene Stoffwechselerkrankungen bestätigte die Verdachtsdiagnose einer Tyrosinämie Typ I (erhöhte Tyrosin- (323µmol/l) und Methioninwerte (59µmol/l) im Serum, erniedrigte Aktivität der Porphobilinogen-Synthetase im Trockenblut, massive Tyrosylurie, hohe Succinylaceton-Konzentration im Urin). Unter einer phenylalanin- und tyrosinarmen Diät sowie einer Therapie mit NTBC (1mg/kg/d) besserte sich der Zustand des Patienten rasch. Die Leberfunktion sowie die tubuläre Dysfunktion normalisierten sich, die AFP-Werte waren nach sechsmonatiger Therapie nur noch minimal erhöht. Das MRT der Leber zeigte ein halbes Jahr nach Diagnosestellung eine vollständige Rückbildung der Regeneratknoten. Zusammenfassung: Die Tyrosinämie Typ I ist eine seltene, aber lebensbedrohliche Erkrankung, deren Prognose sich seit der Einführung der NTBC-Therapie dramatisch verbessert hat. In Deutschland ist sie keine Zielkrankheit des Neugeborenen-Screenings. Da die klinische Manifestation sowohl den Schweregrad der Erkrankung als auch das Manifestationsalter betreffend (Neugeborenen- bis Erwachsenenalter) sehr variabel sein kann, sollte beim Vorliegen einer Leberinsuffizienz, insbesondere im Säuglingsalter, eine rasche metabolische Abklärung erfolgen.