Klin Padiatr 2010; 222 - GNPI_FV_68
DOI: 10.1055/s-0030-1261403

Wird infantiler Botulismus wirklich nur durch Botulinustoxin verursacht? Ein Fallbericht

SC Weber 1, V Varnholt 2, E Eike 3, M Dorner 4, M Schülke 5, H Ringe 2
  • 1Klinik für Neonatologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin
  • 2Klinik für Allgemeine Pädiatrie, Interdisziplinäre Kinder-Intensivstation, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin
  • 3Kinderklinik Lindenhof, Krankenhaus Lichtenberg, Berlin
  • 4Robert Koch-Institut, Berlin
  • 5Klinik für Neuropädiatrie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin

Einleitung: Der infantile Botulismus ist eine seltene Erkrankung (80–100 Fälle/Jahr USA). Im Gegensatz zum klassischen Botulismus erfolgt nicht die primäre Aufnahme des Toxins, sondern eine Besiedelung des noch unreifen Gastrointestinaltraktes durch Vegetativformen von Clostridium botulinum nach Aufnahme kontaminierter Nahrung (häufig Honig), jedoch auch durch Staub mit einer hieraus resultierenden Toxinbildung in vivo. Fallbericht: Ein drei Monate alter männlicher Säugling mit unauffälliger Familien- und Geburtsanamnese wurde nach unspezifischem Vorstadium unter der Verdachtsdiagnose Dehydratation in eine Berliner Kinderklinik aufgenommen. Nach suffizienter Rehydratation zeigte er neben unzureichender Vigilanzbesserung und persistierender Obstipation eine deutliche muskuläre Hypotonie. Es erfolgte eine umfangreiche Diagnostik, die keine eindeutige Ursache der Hypotonie ermitteln konnte. Nach drei Tagen erfolgte wegen zunehmender respiratorischer Insuffizienz die Verlegung auf die interdisziplinäre Kinderintensivstation. Bereits wenige Stunden nach Übernahme Beginn einer CPAP-Atemunterstützung. Im Verlauf wurde eine nicht invasive Beatmung (BiPAP/CPAP) über insgesamt 14/4 Tage notwendig. Diffentialdiagnostisch wurde primär an einen Vitamin B1-Mangel oder einen Säuglings- Botulismus gedacht. Daher wurde eine Therapie mit Vitamin B1, begonnen und es erfolgte, nach Asservierung von Stuhl, die Einleitung einer antimikrobiellen Therapie mit Metronidazol i.v. und Neomycin per os (über 9Tage). Eine Botulinum-Hyper-IgG Therapie war bei schon seit mehr als 48 Stunden bestehender Symptomatik nicht indiziert. Bereits nach 3 Tagen zeigte sich eine Zustandsstabilisierung mit regredienter Muskelhypotonie. Eine Normalisierung der respiratorischen Situation und weiter rückläufige muskuläre Hypotonie resultierte nach 14 Tagen. Im Stuhl konnte eine Thiaminase bildendes Clostridium botulinum Typ A (Clostridium sporogenes) nachgewiesen werden. Diskussion: Wir präsentieren hier einen Säugling mit infantilem Botulismus, der unter der Kombinationstherapie mit Neomycin, Metronidazol und Vitamin-B1 eine rasche Regredienz der Symptomatik zeigte. Die Rekonvaleszenzzeit entsprach derjenigen von mit Botulinum-Immunglobulin behandelten Säuglingen. Dies legt die Vermutung nahe, dass ein Vitamin B1-Mangel, verursacht durch Thiaminase-bildende Clostridien, auch eine Ursache für die muskuläre Hypotonie unseres und anderer Patienten mit Säuglingsbotulismus sein könnte. Dafür könnte auch sprechen, dass bisher beim Säuglingsbotulismus der Nachweis des Toxins im Serum nur selten gelingt. Ob ein Vitamin B1-Mangel ursächlich oder nur als Co-Faktor eine Rolle für die Ausprägung der neurologischen Symptome beim Säuglingsbotulismus spielt, könnte durch eine Clostridien-Typisierung und Vitamin-B1-Messung im Serum bei zukünftigen Fällen geklärt werden.