Klin Padiatr 2010; 222 - HV_69
DOI: 10.1055/s-0030-1261385

Perinatale Programmierung: Molekulare Mechanismen und praktische Perspektiven

A Plagemann 1
  • 1AG 'Experimentelle Geburtsmedizin', Charité, Berlin

Begriff und Konzept der 'Perinatalen Programmierung' beschreiben das grundlegende entwicklungsbiologische und entwicklungsmedizinische Phänomen, dass Umwelteinflüsse während kritischer intrauteriner und neonataler Entwicklungsphasen den funktionellen Phänotyp eines Organismus dauerhaft prägen können, mit der potentiellen Konsequenz langfristig erhöhter Krankheitsdispositionen im Falle von 'Fehlprogrammierungen' durch nachteilige Umwelteinflüsse während der kritischen Entwicklungsphasen. Dieses fundamentale Entwicklungsprinzip gelangte in den letzten Jahren zunehmend in den Blickpunkt wissenschaftlichen Interesses, ist mittlerweile phänomenologisch, epidemiologisch und experimentell, gut belegt, repräsentiert neben klassischer Teratogenese und Alterungsprozess die wichtigste entwicklungsbedingte Ursache von Krankheitsveranlagungen, birgt damit eine grundsätzliche Erweiterung unseres allgemeinen Ätiopathogenesebegriffs in sich und eröffnet ganz neue Chancen und Herausforderungen der primären Prävention im Rahmen der geburtsübergreifenden Perinatalmedizin. Die zugrundeliegenden Mechanismen sind Gegenstand intensiver Forschung. Unter integrativer Würdigung vorliegender Daten und Konzepte kann allgemein postuliert werden, dass umweltabhängig induzierte mikrostrukturelle und epigenomische Veränderungen innerhalb neuro-vegetativer Funktions- und Regelsystemen des Organismus eine wesentliche Basis darstellen. Vor allem hormon- und ernährungsabhängige Einflüsse scheinen hierfür eine entscheidende Rolle zu spielen, wie paradigmatische Beobachtungen im Bereich der Körpergewichts- und Stoffwechselregulation zeigen. Dabei finden sich v.a. neuromorphologisch, neuroelektrophysiologisch und neurogenomisch/epigenomisch erworbene Veränderungen innerhalb peptiderger Regelsysteme, die in Abhängigkeit von Hormon- und Ernährungseinflüssen während perinataler Entwicklungsphasen zu dauerhaften Funktionsstörungen und erworbenen Dispositionen führen können, z.B. für Übergewicht, Diabetes mellitus und metabolisches Syndrom. Hieraus ergeben sich schon jetzt konkrete Handlungsoptionen für die perinatale Präventivmedizin, die vor dem Hintergrund exemplarischer molekularer und mikrostruktureller Beobachtungen hergeleitet und illustriert werden.