Klin Padiatr 2010; 222 - HV_55
DOI: 10.1055/s-0030-1261366

Langfristige Folgen der intrauterinen Wachstumsrestriktion

A Plagemann 1
  • 1AG 'Experimentelle Geburtsmedizin', Charité, Berlin

Die „small baby syndrome“ Hypothese („Barker-Hypothese“) zu langfristigen Folgen der intrauterinen Wachstumsrestriktion wurde vor dem Hintergrund von Studien formuliert, die zeigten, dass ein niedriges Geburtsgewicht im späteren Leben vermehrt mit metabolischem Syndrom, Typ 2 Diabetes und kardiovaskulären Erkrankungen assoziiert ist. Dies wurde von Hales und Barker als Folge eines durch pränatale Unterernährung induzierten sparsamen („thrifty“) Phänotyps interpretiert, welcher unter Bedingungen von Nahrungsknappheit einen Überlebensvorteil hätte, sich unter den Überflussbedingungen moderner Industriegesellschaften aber in sein Gegenteil verkehre. Verallgemeinernd schlugen später Hanson und Gluckman die „match-mismatch“ Theorie vor, welche besagt, dass sogar grundsätzlich ein „mismatch“ zwischen pränataler und späterer Umwelt Krankheitsrisiken erhöhen würde, während ein „match“ präventiv wirke. Bereits während der 1990er Jahre formulierten wir und andere Einwände gegen diese Theorien. So wurde bspw. in der Mehrzahl der Studien die potentielle Rolle von Konfoundern (Gestationsalter, mütterliche Erkrankungen) und/oder Mediatoren (bspw. neonatale Überernährung) der Beziehung zwischen niedrigem Geburtsgewicht und späteren Erkrankungen nicht adäquat berücksichtigt. Zum anderen ist Übergewicht der Hauptrisikofaktor für das metabolische Syndrom und Typ 2 Diabetes, d.h. für jene Folgen, welche mit vermindertem Geburtsgewicht in Verbindung gebracht werden. Konsequenterweise müsste ein niedriges Geburtsgewicht einen unabhängigen Risikofaktor für spätere Adipositas darstellen, was jedoch nicht der Fall ist. Zudem weisen experimentell betrachtet perinatal mangelernährte Ratten sogar eine verlängerte Lebensspanne auf. In ähnlicher Weise führt eine Generalisierung in Form des „mismatch“ Paradigmas zu erheblichen Widersprüchen. So ist bspw. die Exposition gegenüber einem mütterlichen Diabetes/Übergewicht in utero, welche zu einer pränatalen Überernährung führt, nicht von einem verminderten, sondern einem erhöhten Adipositas- und Diabetesrisiko im späteren Leben gefolgt. Zusammengefasst existiert unzweifelhaft eine phänomenologische Beziehung zwischen niedrigem Geburtsgewicht/intrauteriner Wachstumsrestriktion und einem erhöhten Risiko für die Entwicklung chronischer Krankheiten, wie des metabolischen Syndroms. Die kausalen Mechanismen dieses Phänomens sind allerdings nicht geklärt und Gegenstand wissenschaftlicher Kontroversen. Insbesondere erscheint es unwahrscheinlich, dass eine pränatale Unterernährung den entscheidenden Kausalfaktor in diesen Beziehungen darstellt. Dagegen scheinen hormonelle Alterationen (restriktionsbedingter pränataler Stress/Hyperkortisolämie; überernährungsbedingte Hyperinsulinämie, Hyperleptinämie) während kritischer Entwicklungsphasen von ätiopathogenetischer Bedeutung zu sein. Deshalb birgt eine unkritische Generalisierung der „small baby syndrome“ Hypothese und des „match-mismatch“ Konzeptes potentiell fatale Konsequenzen für die Entwicklung von Präventionsstrategien in sich.