Klin Padiatr 2010; 222 - HV_40
DOI: 10.1055/s-0030-1261341

Epidemiologie und Therapie invasiver Meningokokken-Infektionen

R Berner 1, C Müller 1, S Bélard 1
  • 1Universitäts – Kinderklinik, Freiburg

Invasive Meningokokkeninfektionen zählen zu den bedrohlichsten Krankheitsbildern in der Pädiatrie. Im Jahr 2009 betrug die bundesweite Inzidenz 486 Fälle oder 0,6 Fälle pro 100.000 Einwohner. Das klinische Bild der Meningokokkeninfektion hat eine breite Spannbreite von foudroyanter tödlicher Sepsis über eitrige Meningitis bis hin zur fast asymptomatischen Bakteriämie. Das Verständnis für diese Unterschiede ist noch rudimentär, dagegen liegen sehr detailierte Forschungsergebnisse vor über Pathogenitätsmechanismen und Virulenzfaktoren des Erregers selbst. Um eine vergleichende Analyse von molekularen Virulenzfaktoren einerseits und klinischen Verläufen andererseits in Deutschland herzustellen, werden über das BMBF-geförderte Projekt „MENINGOKOKKEN-NETZ“ Krankheitsfälle bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland erfasst, wesentliche klinische Daten erhoben und mit Erregermerkmalen korreliert, die über das Nationale Referenzzentrum für Meningokokken (NRZM) in Würzburg analysiert werden. Nach Angaben des NRZM wurden 2009 379 Meningokokken-Isolate und damit ca. 78% der an das RKI gemeldeten Fälle durch das NRZM untersucht. Der Anteil der Serogruppe C Erkrankungen blieb mit 22,0% gegenüber dem Vorjahr gleich, während der Anteil der Serogruppe B Erkrankungen mit 67,8% leicht abfiel. Meningokokken der Serogruppe Y und W-135 verursachten im Jahr 2009 6,6% bzw. 3,2% aller invasiven Erkrankungen und stiegen somit leicht gegenüber dem Vorjahr an. Von 308 untersuchten Stämmen waren 100% sensitiv gegenüber Rifampicin und Ciprofloxacin (nach Kriterien des CLSI). Es wurde ein Penicillin-resistenter Stamm aus einem nichtinvasiven Material (Sputum) beobachtet. Phänotypisch Penicillin-intermediäre Stämme stiegen im Jahr 2009 leicht auf 18,5% (n=57) an. Der Anteil der Stämme mit typischen Mutationen im penA-Gen lag mit 18 von 57 Stämmen bei 32%.

Das MENINGOKOKKEN-NETZ hat in einer retrospektiven und prospektiven Erhebung seit dem Jahr 2007 214 Patienten entsprechend 33% aller Fälle im Alter zwischen 0 und 18 Jahre erfasst. Für die anonymisierten Meldungen konnten in 97% der Fälle ein Match mit der Datenbank des NRZM hergestellt und so patientenspezifische mit erregerspezifischen Daten verbunden werden. Bei 14% der Fälle wurde ein fulminanter Verlauf beobachtet, bei 8,7% mit letalem Ausgang. 16% der Verläufe waren septisch ohne Meningitis und ohne Multiorganversagen, bei 70% der Fälle kam es zu einer meningealen Beteiligung. Ohne Folgeschäden überlebt haben drei Viertel der Patienten. Bei etwa 15% der Patienten kam es zu Folgeschäden. Bei etwa einem Drittel derjenigen Patienten, bei denen Blutproben zur weiteren immunologischen Diagnostik eingesandt wurden, ergaben sich Hinweise für einen partiellen Immundefekt. In der Initialphase (d.h. vor Erregernachweis) wird zur antibiotischen Therapie invasiver Meningokokken-Erkrankungen nach wie vor die Behandlung mit Cefalosporinen der Cefotaxim-Gruppe empfohlen. Bei Nachweis der Penicillin-Empfindlichkeit kann auf Penicillin umgestellt werden. Zur Prophylaxe sind sowohl Rifampicin als auch Ciprofloxacin geeignet.

Mittelfristig wird nur durch die Verknüpfung von Informationen über das Pathogenom des Erregers, den klinischen Schweregrad der Infektion, immunologisch begründbare Wirts-Prädispositionen sowie die epidemiologische Ausbreitung einzelner Stämme ein detailliertes Verständnis für die Entstehung invasiver Meningokokkeninfektionen gewonnen werden können. Dies wiederum wird die Voraussetzung für eine bessere Risikostratifizierung und ggfs. für die Projektierung neuer Targets für Therapie und Prävention invasiver Meningokokken-Infektionen sein.