Klin Padiatr 2010; 222 - GNPI_FV_32a
DOI: 10.1055/s-0030-1261339

Wann würden Sie transfundieren? Ein internationaler Vergleich des Transfusionsverhaltens bei neonataler Thrombozytopenie

M Cremer 1, M Sola-Visner 2, C Josephson 3, S Roll 1, Z Yilmaz 1, C Bührer 1, C Dame 1
  • 1Universitätsklinikum Charité Med. Fakultät d. Humboldt-Univ., Berlin
  • 2Division of Newborn Medicine, Children's Hospital Boston and Harvard Medical School, Boston, USA
  • 3Department of Pathology and Pediatrics, Emory University School of Medicine, Atlanta, Georgia, USA

Hintergrund International publizierte Empfehlungen zur Thrombozytentransfusion bei Neugeborenen sind uneinheitlich. Wir nahmen dementsprechend an, dass Neonatologen aus verschiedenen Ländern unterschiedliche Angaben zu ihren Transfusionsgrenzen und -verhalten machen würden. Fragestellung Mittels eines internet-basierten Fragebogens sollten die Transfusionsgrenzen zwischen deutsch-sprachigen Ländern mit den USA verglichen werden. Methode Alle Leiter der Perinatalzentren (Level 1) Deutschland, Schweiz und Österreich wurden um die Teilnahme an einer Befragung gebeten. Nach Einverständnis wurde ein bis zwei Kollegen pro Zentrum der Fragebogen geschickt. Der Fragebogen enthielt 11 Fallszenarien von Früh- und Neugeborenen, die typischerweise in der Neonatologie angetroffen werden. Hier sollte die Thrombozytenzahl angegeben werden, bei der ein Thrombozytenkonzentrat appliziert würde. Diese Ergebnisse wurden mit der identischen Befragung von Neonatologen (n=1006) aus den USA mittels Mann-Whitney-U-Test verglichen. Ergebnisse 170 Perinatalzentren (D=149, CH=8, A=13) wurden identifiziert. 58% der Perinatalzentren (n=99) nahmen teil. An 144 Neonatologen wurde die Aufforderung zur Teilnahme elektronisch versendet, von denen 116den Fragebogen ausfüllten. In allen 11 Fallszenarien wählten deutsch-sprachige Kollegen niedrigere Transfusionsgrenzen, als die US-Kollegen, wobei der Unterschied in 9 Fällen klinisch relevant war. Beispiele: Bei einem klinisch stabilen Frühgeborenen (27 SSW, 950g, 2 Tage alt) wählten deutsch-sprachige Kollegen im Median eine Thrombozyten-Transfusionsgrenze von 30/nl während die US-Kollegen 50/nl wählten (p<0,001). Bei dem selben Frühgeborenen, welches nun klinisch instabil war (B-Streptokokken-Sepsis, beatmet, katecholamin-pflichtig) und eine intraventrikuläre Hämorrhagie aufwies, war die am häufigsten genannte Transfusionsgrenze 50/nl bei deutsch-sprachigen Kollegen während in den USA 100/nl am häufigsten gewählt wurde (p<0,001). Interessanterweise, zeigte sich kaum Unterschiede der angegebenen Transfusionsgrenzen als a) nach einem reifen Neugeborenen mit Alloimmunthrombozytopenie und b) einem Frühgeborenen vor einer Lumbalpunktion gefragt wurde. Diskussion In 9 von 11 Szenarien wählten deutsch-sprachige Kollegen niedrigere Transfusionsgrenzen, die klinisch relevant eingestuft wurden. Dies könnte hier zu einer geringeren Transfusionsrate im deutschsprachigem Raum führen. Bei der mit Alloimmunthrombozytopenie und vor einer Lumbalpunktion konnten keine relevanten Unterschiede festgestellt werden. In beiden Fällen sind Expertenmeinungen oder Konsensempfehlungen publiziert. Schlussfolgerung Die Publikation von Leitlinien kann zur Vereinheitlichung der Transfusionspraxis führen, allerdings sind kontrolliert randomisierte Studien notwendig, um evidenz-basierte Leitlinien zur Thrombozytentransfusion zu erstellen.