Klin Padiatr 2010; 222 - HV_4
DOI: 10.1055/s-0030-1261284

Sepsis und Gehirnschäden: Experimentelle Befunde

U Felderhoff-Müser 1
  • 1Klinik für Kinder und Jugendmedizin der Universität, Essen

Die Weiterentwicklungen in der Perinatalmedizin und der neonatologischen Intensivversorgung führten in den letzten Jahrzehnten zu einer erheblichen Verbesserung der Überlebenschancen Frühgeborener und kranker Neugeborener, nicht aber zu einer entsprechenden Reduktion der Inzidenz neurologischer Morbidität. Somit stellen die Folgeschäden weiterhin eine hohe persönliche aber auch sozioökonomische Belastung für die betroffenen Kinder, deren Familie und die Gesellschaft dar. Nur ein Teil der neurologischen Defizite dieser Kinder ist durch offensichtliche prä-, peri- und postnatale Schäden des Gehirns, wie beispielsweise durch Blutungen oder Infarkte, erklärbar. Neuere Forschungsergebnisse unterstreichen die Bedeutung intrauteriner und neonatal erworbener Infektionen in der Auslösung neuronalen Zelltods im sich entwickelnden Gehirn. Abhängig vom Schädigungszeitpunkt haben Läsionen des unreifen Zentralnervensystems das Potential, die Entwicklung in ihrer physiologischen Abfolge zu inhibieren oder umzulenken. Dabei können empfindliche Prozesse wie die physiologische Apoptose überschüssiger Neurone, die neuronale Vernetzung sowie die Entstehung und Reifung von Oligodendrozyten gestört werden. Dies bedingt Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten, die Entstehung von Epilepsien, sowie Störungen der Myelinisierung bei den betroffenen Kindern. Klinische und experimentelle Studien konnten zeigen dass perinatale Infektionen eine große Rolle in der Pathogenese neurologischer Folgeschäden, wie z.B. der Zerebralparese, spielen. Nach einem mütterlichen Amnioninfektionssyndrom ist die Inzidenz von periventrikulären oder intraventrikulären Blutungen sowie von Läsionen der weißen und grauen Hirnsubstanz signifikant erhöht. Aber auch postnatal erworbene Septitiden können neurologische Folgeschäden nach sich ziehen. Das Inflammationssignal wird über die Blut-Hirnschranke tranportiert und initiiert eine neuroinflammatorische Antwort. Zudem können Infektionen die kardiovaskuläre Funktion beeinträchtigen und damit die zerebrale Perfusion negativ beeinflussen, was sekundär zu Gewebehypoxie führen kann. Umgekehrt sind intrauterine Infektionen oft mit einer Asphyxie assoziiert was zum sogenannten „double-hit“ Effekt führt. In experimentellen Modellen werden beide Insulte kombiniert um molekulare Mechanismen zu untersuchen mit dem Ziel neuroprotektive Strategien zu entwickeln. Auch kann eine Neuroinflammation über einen längeren Zeitraum persistieren und das sich entwickelnde Gehirn für weitere Insulte sensibilisieren. So kommt es nicht nur zu akutem Zelluntergang sondern auch zu einer relativen Toleranzentwicklung gegenüber der Aktivierung von endogenen Schutz- und Reparaturmechanismen der Zellen.

Die mikrogliale Aktivierung spielt eine zentrale Rolle bei der inflammatorischen Antwort und kann darüber hinaus exzitotoxische Mechanismen triggern. Durch die Infektionen freigesetzte pro-inflammatorische Zytokine können das unreife Gehirn direkt schädigen und die physiologische Entwicklung beeinträchtigen. Im Gegensatz dazu können Zytokine auch neuroprotektive Eigenschaften haben. Diese kritische Balance zwischen schädigenden und schützenden Effekten ist Gegenstand der aktuellen Forschungen vieler Arbeitsgruppen.