Klin Padiatr 2010; 222 - HV_1
DOI: 10.1055/s-0030-1261283

Neonatale Sepsis: Pathogenese, präventive und therapeutische Strategien

CP Speer 1
  • 1Universitäts-Kinderklinik im Luitpold-Krankenhaus, Würzburg

Die neonatale Sepsis stellt nach wie vor eines der Hauptprobleme der Neugeborenenmedizin dar. In Westeuropa und den USA erkranken 1–4 Neugeborene/1.000 Lebendgeborenen/Jahr an einer neonatalen Sepsis. 3–25% der Neugeborenen versterben an den Komplikationen dieser oftmals foudroyant verlaufenden Infektion, bis zu 10% entwickeln eine Meningitis. Weltweit versterben mehr als 1.6 Millionen Neugeborene/Jahr an einer Sepsis. Im Vergleich zu reifen Neugeborenen haben sehr unreife Frühgeborene ein deutlich erhöhtes Risiko an einer „early-onset-sepsis“ zu erkranken und zu versterben oder schwere neurologische und pulmonale Folgekomplikationen davonzutragen. Eine gewisse Anzahl dieser Hochrisikofrühgeborenen ist bereits in utero einer Chorioamnionitis ausgesetzt, die eine pulmonale oder systemische Inflammationsreaktion des Feten auslösen kann. Besonders kritisch ist die Situation auf neonatologischen Intensivstationen; hier kann bei >25% der Frühgeborenen (<1.500g Geburtsgewicht) eine Sepsis nachgewiesen werden. Eine lang dauernde maschinelle Beatmung, lange Liegedauer von zentralen und percutanen Kathetern, später Nahrungsbeginn und verzögerter kompletter Nahrungsaufbau sind als Hauptrisikofaktoren identifiziert. Früh- und Neugeborene weisen eine Reihe quantitativer und funktioneller Immundefizienzen auf, die in der Summation eine gewisse Prädisposition für mikrobielle Infektionen darstellen können: eine verminderte Knochenmarksreserve für Granulozyten, partiell eingeschränkte Phagozytenfunktionen, eine verminderte Makrophagenaktivierung und der Mangel spezifischer Antikörper. Sehr kleine Frühgeborene weisen ein profundes Antikörpermangelsyndrom auf. Alle bisherigen Versuche, diese Defizite kausal zu beeinflussen, müssen als enttäuschend angesehen werden. So sind Austauschtransfusionen oder Granulozytentransfusionen ineffektiv, die therapeutische Gabe von Granulozyten- oder Granulozyten/Makrophagen-stimulierenden Faktoren (G-CSF, GM-CSF) haben die Sepsis-assoziierte Sterblichkeit nicht senken können. Ebenso haben präventive G-CSF und GM-CSF-Gaben die Überlebenschancen von Risikopatienten nicht verbessert. Meta-Analysen zur prophylaktischen und therapeutischen Gabe von Immunglobulinen belegen, dass beide Strategien die Sepsis-assoziierte Sterblichkeit von Risikofrühgeborenen nicht senken können. Der einzige effektive Ansatz, der von einer 70%igen Reduktion der früh einsetzenden Sepsis durch β-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe B geführt hat, ist die in den USA praktizierte Screeningstrategie aller Schwangeren in der 35.–37. Gestationswoche mit subsequenter präpartaler Penicillingabe. Es bleibt allerdings nicht auszuschließen, dass diese Strategie zu einem Wechsel im Erregerspektrum der „early onset“ Sepsis führen wird.