Zeitschrift für Klassische Homöopathie 2010; 54(3): 132-139
DOI: 10.1055/s-0030-1257732
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© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Die „eugenische Kur” – ein Vermächtnis Hahnemanns? Neue Gesichtspunkte durch den Fund der verloren geglaubten „zweiten Handschrift”[1]

Ein Beitrag zum Organon-Jahr 2010Karl Kreikenbaum, Dagmar Radke[2]
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Publication History

Publication Date:
21 September 2010 (online)

Zusammenfassung

Hahnemanns Vorschlag, in der Schwangerschaft eine „gelinde antipsorische Cur” zum Nutzen von Mutter und Kind durchzuführen, galt lange Zeit als fragwürdig, zum einen wegen des prophylaktischen Charakters dieser Maßnahme, zum anderen wegen der wenig gesicherten Quellenlage der Überlieferung.

Ein neu entdecktes Manuskript bestätigt die Authentizität von Haehls Ergänzung und damit die Echtheit von Hahnemanns Vorschlag.

Summary

Hahnemann's suggestion to perform, during pregnancy, an „antipsoric treatment” has been questioned many times. The treatment was considered to be merely prophylactic. The authenticity of the text in the original manuscript was doubted.

A recently discovered second manuscript helps to confirm the authenticity of Hahnemann's antipsoric treatment during pregnancy.

01 Der Inhalt der vorliegenden Arbeit ist Teil eines Vortrages, welcher am 19.06.2010 in Göttingen im Rahmen des 94. Ärzteseminars „Homöopathie in der täglichen Praxis” im Dietrich-Berndt-Institut gehalten wurde. Titel des Vortrages: „Die Editionsgeschichte des Organon – fast schon ein Krimi!”

Anmerkungen

01 Der Inhalt der vorliegenden Arbeit ist Teil eines Vortrages, welcher am 19.06.2010 in Göttingen im Rahmen des 94. Ärzteseminars „Homöopathie in der täglichen Praxis” im Dietrich-Berndt-Institut gehalten wurde. Titel des Vortrages: „Die Editionsgeschichte des Organon – fast schon ein Krimi!”

02 Die Autoren danken Herrn Professor Dr. Gert Oomen, Tübingen, für die Ermutigung, diesen vorliegenden Text zu veröffentlichen, und für stetige Hilfe und fachkundige Gespräche während der Vorbereitung der Publikation.

03 Es sei, auch in diesem Zusammenhang, auf die historische Belastung der Begriffe Eugenik, Erbgesundheitslehre, Erbhygiene verwiesen: Ursprünglich wurde der Begriff Eugenik vom britischen Naturforscher F. Galton 1883 mit ganz anderer, eher demokratischer Zielsetzung geprägt: Nicht mehr die Abstammung, das Familienvermögen, der Adelstitel sollten für die Entwicklung des Einzelnen, seine Stellung in der Gesellschaft, seine Familienplanung maßgeblich sein, sondern seine Begabung, seine Tüchtigkeit, sein Fleiß. Kurze Zeit darauf aber gab es schon in den USA eine eugenische Bewegung, die einen dezidierten Rassismus vertrat, der schon im Jahre 1905 mit Zwangssterilisation verbundene Gesetze „zur Verhinderung von Schwachsinn und Kriminalität” herbeiführte und 1924 ein Einwanderungsgesetz schuf, das mithilfe rassistischer Argumente die Einwanderung v. a. von Süd- und Osteuropäern zu verhindern suchte (zitiert nach Brockhaus, Bd. 6, 1988). Für uns Deutsche ist die rassistische Eugenik-Bewegung, v. a. nach der national-sozialistischen Machtübernahme von 1933, unser historisches Erbe, das auch wir Nachgeborenen tragen müssen. Schon 1933 wurde das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses” erlassen, das die Sterilisierung von Psychiatriepatienten erlaubte. Die nachfolgende Entwicklung bis hin zur „Vernichtung lebensunwerten Lebens”, die nicht ohne maßgebliche Beteiligung von Ärzten möglich gewesen wäre, ist bekannt. In der homöopathischen Literatur jedoch wird der Begriff der eugenischen Kur nach wie vor unbelastet verwendet. Diese vorgefundene Sprachregelung soll in der vorliegenden Arbeit zunächst weiter benutzt werden.

04 Schmidt berichtet im Vorwort seiner textkritischen Ausgabe, dass im Jahre 1959 Pierre Schmidt und Jost Künzli von Fimmelsberg auf ihrer Reise nach San Francisco vergeblich versucht hatten, das Manuskript einzusehen, weil die damalige Sekretärin der Homoepathic Foundation of California, Elsa K. Engle, gerade anderweitige Verpflichtungen hatte (!). Schmidt, J. M., 1992, S. XII

05 In Köthen, 2010, anlässlich des Kongresses des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte, berichtete J. M. Schmidt im persönlichen Gespräch, er habe in San Francisco, in der UCSF, André Saine getroffen, der sich zuvor ebenfalls mit dem Organon-Manuskript beschäftigt hätte. Saine hätte das Manuskript noch im allgemeinen Bestand der Bibliothek vorgefunden und sei, um zu zeigen, wie vertrauensselig die Aufbewahrung wäre, mit dem Manuskript unter dem Arm an der Lesesaal-Aufsicht vorbei ins Freie spaziert, natürlich um kurz darauf zurück zu kehren und auf die Möglichkeit des leichten Diebstahls hinzuweisen. Daraufhin sei das Manuskript in die Special Collections überführt worden. - Von einem zweiten Manuskript hatte auch Saine nichts bemerkt, sonst hätte er es sicherlich Schmidt erzählt.

06 Brief Dr. J. A. Campbell, Medical Advance, August 1878: „ ... Bezüglich der hinterlassenen Schriften Hahnemanns erzählte mir Frau von Bönninghausen, daß sie zahlreiche Angebote aus Deutschland und Frankreich besitze, von Personen, welche den dringenden Wunsch geäußert hätten, den Nachlaß zu veröffentlichen. Aber, sagte sie, ‚die Schriften sind für Amerika bestimmt, für das Land, in dem die Homöopathie eine so gute Aufnahme und weite Verbreitung gefunden hat, das war der sehnlichste Wunsch meiner Adoptivmutter gewesen‘ ... Noch einige Worte über Frau von Bönninghausen. Madame Hahnemann war 35 Jahre alt, als sie sich mit Hahnemann verheiratete. Kurz vor seinem Tode nahm sie auf besonderen Wunsch ihres Mannes Frau Bönninghausen, die damals 5 Jahre alt war, an Kindesstatt an. Sie ist jetzt die Gattin des Dr. Carl von Bönninghausen. Sie lebten hier in Paris beisammen bis zum Ausbruch des deutsch-französischen Krieges. Dann zogen sie ins Westfälische, wo Dr. von Bönninghausen einer größeren ärztlichen Praxis vorsteht und von Zeit zu Zeit nach Paris kommt. Frau von Bönninghausen war die ständige Gesellschafterin von Madame Hahnemann, sie sollte daher die ihr bevorstehende Aufgabe besser kennen als irgend jemand sonst. Mit kollegialem Gruß Dr. James A. Campbell, Paris, den 22. Juni 1878” Haehl, R., (Hahnemann) 2, 474

07 Brief Hahnemanns an seinen Verleger Schaub in Düsseldorf: „Lieber Herr Schaub! Soeben habe ich, nach 18monatlicher Arbeit die sechste Edition meines Organons vollendet, welches nun die möglichst vollkommene geworden ist. Sie würde nach dem bisherigen Drucke des Organons 20 bis 22 Bogen betragen, jezt aber nach liberalerem Drucke, wie ich wünsche wenigstens 24. Das weißeste Papier und die neuesten Lettern wünsche ich zu ihrer Ausstattung, da sie wahrscheinlichst meine lezte seyn wird. Ist es Ihnen gefällig, eine solche schöne Herausgabe zu übernehmen, so bestimmen Sie selbst das Honorar entweder überhaupt oder nach Bogenzahl – wie Sie wollen – nur daß wir Ehre damit einlegen. Da Hr. Arnold ein Bild von mir jeder Ausgabe vorsetzen ließ, was wenig oder keine Aehnlichkeit von mir hatte, so werde ich dafür sorgen, daß Sie wenigstens eine genaue Zeichnung von meinem Gesichte erhalten, damit die Nachwelt sich doch einigen Begriff von meinen Gesichtszügen machen kann. Ich bitte mir nur 10 Freiexemplare aus. Ist Ihnen dies gefällig, so schreiben Sie mir umgehender Post Ihrem ergebensten Sam. Hahnemann, Paris, Rue de Milan No 1. den 20. Febr. 1842 ... ” Schmidt, J. M., 1992, S. XXXIII

Literatur

Dr. med. Dagmar Radke

Herzberger Landstr. 91

37085 Göttingen

Dr. med. Karl Kreikenbaum

Mühlenstr. 26

37154 Northeim

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