Gastroenterologie up2date 2010; 6(3): 152-153
DOI: 10.1055/s-0030-1255705
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Unterbauchbeschwerden alleine sind kein zuverlässiges Symptom für ein kolorektales Karzinom

Gabriela  Möslein
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Publication Date:
30 August 2010 (online)

Kommentar zu

Aussagekraft von Symptomen und zusätzlichen diagnostischen Tests für kolorektales Karzinom in der Primärversorgung: systematisches Review und Metaanalyse

Value of symptoms and additional diagnostic tests for colorectal cancer in primary care: systematic review and meta-analysis

Jellema P, van der Windt DA, Bruinvels DJ, Mallen CD, van Weyenberg SJ, Mulder CJ, de Vet HC; Department of General Practice, EMGO Institute for Health and Care Research, VU University Medical Center, Van der Boechorststraat 7, 1081 BT Amsterdam, Netherlands

Hintergrund: Bei kolorektalen Karzinomen ist eine frühe Diagnose wesentlich; sie kann die 5-Jahres-Überlebensrate auf mehr als 90 % anheben. Da sich Patienten mit unspezifischen abdominellen Beschwerden meist beim Hausarzt vorstellen, wäre es wichtig, dass dieser diejenigen mit erhöhtem Risiko identifizieren könnte. Doch mit welchen Tests?

Methoden: Um die verlässlichsten dieser Testverfahren ausfindig zu machen, führten P. Jellema et al. eine Metaanalyse durch, in der sie diagnostisch verwertbare Daten und die entsprechenden Testverfahren zur Früherkennung eines kolorektalen Karzinoms auf ihre diagnostische Potenz hin bewerteten. Sie suchten dazu in medizinischen Datenbanken nach geeigneten Studien mit einer Population aus erwachsenen Patienten, die wegen nicht akuter Unterbauchbeschwerden einen Arzt aufsuchten. Screenig-Studien waren daher ausgeschlossen. Als Testverfahren zur Risikoermittlung wurden anamnestische Angaben wie Alter, familiäre Belastung und Gewichtsverlust angewendet, darüber hinaus aber auch Blut- und Stuhluntersuchungen.

Ergebnisse: Insgesamt gingen 47 Studien in die Auswertung ein. Für den Faktor Alter variierten Sensitivität und Spezifität deutlich in Abhängigkeit vom Grenzwert: Je niedriger dieser war, desto höher die Sensitivität und desto niedriger die Spezifität. Gepoolte Analysen zeigten, dass das Risiko für ein kolorektales Karzinom für Patienten im Alter von 50 Jahren und mehr 10 % betrug, während Patienten unter 50 Jahren ein Risiko von 2 % hatten. Für das Kriterium (Eisenmangel-)Anämie schwankte die Sensitivität recht breit zwischen 0,07 und 0,68, während die Spezifität sich von 0,83 bis 0,95 erstreckte. Auch für Tests auf okkultes Blut im Stuhl zeigten sich große Spannweiten: So variierte die Sensitivität je nach Testverfahren von 0,33 bis 1,00, die Spezifität von 0,72 bis 0,94. Eine hohe Spezifität zeigten familiäre Belastung (0,75 – 0,98) und Gewichtsverlust (0,72 – 0,96) bei jedoch unzureichender Sensitivität. Es wurden allerdings nur wenige Studien im Bereich der Primärversorgung durchgeführt.

Folgerung: Auch wenn die Kombination von Symptomen sowie immunchemische Stuhltests gute diagnostische Ergebnisse im Hinblick auf kolorektale Karzinome zeigten, gibt es hierzu jedoch nur wenige Daten aus dem Bereich der Primärversorgung. Es seien daher zukünftige Studien zu dieser Thematik notwendig, so die Autoren.

BMJ 2010; 340: c1269

(zusammengefasst von Dr. med. Johannes Weiß, Bad Kissingen

Koloskopie. In Deutschland wird mit internationalem Vorbildcharakter eine Darmkrebsvorsorge propagiert und von den Kassen bezahlt. Hier also sollte man (unabhängig von der vorliegenden Metaanalyse) zunächst jedem symptomatischen Patienten, der 56 oder älter ist und noch keine Vorsorgekoloskopie hatte, eine Koloskopie (die dann nicht mehr als Vorsorge eingestuft wird) empfehlen.

Parameter für Algorithmus. In anderen Ländern wäre ein Algorithmus, der durch die vorliegende Metaanalyse in Aussicht gestellt wird, sehr hilfreich. Die beeindruckende Aufarbeitung einer sehr heterogenen Studienlage bleibt vage: Es fehlen (wie immer…) klare Definitionen und gute prospektive Studien.

Dabei werden einige sehr spannende Highlights in der Metaanalyse herausgearbeitet. Das Patientenalter war ein wichtiger Parameter: Patienten > 50 Jahre mit nicht akuten Unterbauchbeschwerden hatten in 10 % der Fälle ein kolorektales Karzinom, während dieses nur bei 2 % der Bevölkerung < 50 Jahren vorlag. Das Ertasten einer abdominellen oder rektalen Raumforderung erfolgte wesentlich häufiger durch die Hausärzte, war aber in der Spezifität der Untersuchung bei Klinikärzten signifikant akkurater und hocheffizient, denn 46 % der in der Klinik ertasteten rektalen Raumforderungen erwiesen sich als Rektumkarzinome.

Unterbauchschmerzen für sich genommen sind kein zuverlässiges Symptom. In 4 von 13 Studien war das kolorektale Karzinomrisiko dann sogar geringer. Patienten, die „dunkelrotes Blut beim Stuhlgang” angaben, hatten signifikant öfter ein Karzinom, als wenn „hellrotes” Blut angegeben wurde. Spezifischer als Unterbauchschmerzen waren „Änderung der Stuhlgewohnheiten” und Gewichtsverlust.

Da die Performance von immunologischen Stuhltests besser als die des biochemischen Stuhltests ist, wird von den Autoren ein deutliches Potenzial für das Vorschalten dieses Tests gesehen.

Präselektion in der Primärversorgung. Die Notwendigkeit einer klinischen Präselektion auf hausärztlicher Ebene ist gegeben. Nach Angabe der Autoren behandelt ein Hausarzt einen Patienten pro Jahr mit einem neu aufgetretenen kolorektalen Karzinom – aber unzählige mit nicht akuten Unterbauchbeschwerden.

Prof. Dr. med. Gabriela Möslein

Chefärztin Allgemeine- und Viszeralchirurgie
Kolonproktologie
HELIOS St. Josefs-Hospital Bochum-Linden

Axstraße 35
44879 Bochum

Email: gabriela.moeslein@helios-kliniken.de

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