Krankenhaushygiene up2date 2010; 5(2): 79-80
DOI: 10.1055/s-0030-1255650
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Procalcitonin zur Verringerung der Antibiotika-Exposition

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
19. Juli 2010 (online)

Bouadma L, Luyt C-E, Tubach F et al. Use of procalcitonin to reduce patients' exposure to antibiotics in intensive care units (PRORATA trial): a multicentre randomised controlled trial. Lancet 2010; 375: 463 – 474

Der intensive Gebrauch von Antibiotika führt zu vermehrtem Auftreten resistenter Erreger. Patienten auf Intensivstationen bekommen häufig antimikrobielle Substanzen, weshalb nach Strategien gesucht wird, die Exposition dieser kritisch kranken Patienten gegenüber Antibiotika ohne eine Verschlechterung ihres Outcomes zu reduzieren. Seit einigen Jahren wird untersucht, inwieweit sich mit Procalcitonin (PCT), einem laborchemischen Marker für bakterielle Infektionen, der Beginn und das Ende einer antimikrobiellen Therapie effektiver festlegen lässt.

Bouadma et al. untersuchten in einer randomisierten, kontrollierten Multicenter-Studie, welche Effekte die Steuerung einer antibiotischen Therapie bei Intensivpatienten mithilfe von PCT auf die Dauer der Antibiotikagabe und die Mortalität haben.

Insgesamt wurden 311 Patienten von 2 chirurgischen und 5 internistischen Intensivstationen in die PCT- und 319 Patienten in die Kontrollgruppe aufgenommen. Bei allen eingeschlossenen Patienten bestand der Verdacht auf eine schwere bakterielle Infektion. Sie wurden per Computer 1:1 den beiden Gruppen zugeordnet, wobei dem behandelnden Arzt die Gruppenzugehörigkeit nach der Randomisierung bekannt war. Informationen zu den vorläufigen Ergebnissen der Studie wurden den Behandlern während der Studiendauer nicht mitgeteilt.

PCT wurde initial und im Verlauf bestimmt, um den Beginn und das Ende einer Therapie festzulegen. Bei Werten über 0,5 µg/l wurde eine antibiotische Therapie angeraten, bei Werten über 1,0 µg/l dringend angeraten. War der initiale Wert < 0,5µg/l, so wurde 6-12 Stunden später eine erneute Bestimmung durchgeführt und nach den oben genannten Kriterien evaluiert. Wurde eine Antibiotikatherapie begonnen, erfolgten tägliche PCT-Messungen, bis die Behandlung beendet wurde. Als Kriterium hierfür wurde ein Absinken auf < 0,5µg/l oder < 80 % des Spitzenspiegels festgelegt. Die Auswahl der antimikrobiellen Substanz blieb im Ermessen der behandelnden Ärzte, ebenso wie die Entscheidung über Beginn und Ende der Therapie. Vor Beginn der Studie erhielten zudem alle behandelnden Ärzte aktuelle Leitlinien für die Therapie der wichtigsten Infektionskrankheiten.

Die untersuchten Gruppen unterschieden sich weder in ihren demografischen Daten noch gab es bedeutsame Unterschiede im Bezug auf Vorerkrankungen, die Schwere der aktuellen Erkrankung, den Immunstatus, PCT- oder CRP-Werte. Das vorgesehene Studienprotokoll (PCT-gesteuerte Therapie) wurde in der PCT-Gruppe in 53 %, in der Kontrollgruppe (Leitlinien-konforme Therapie) in 45 % der Fälle nicht befolgt („overruling” aufgrund individueller abweichender Einschätzung der behandelnden Ärzte).

Als primäre Endpunkte wurden die Mortalität an Tag 28 und 60 sowie die Anzahl der Tage ohne Antibiotikatherapie untersucht. Bezüglich der Mortalität an Tag 28 und 60 war die PCT-Gruppe der Kontrollgruppe nicht unterlegen (OR 0,89 (90 % CI 0,62 – 1,28) an Tag 28; 1,09 (0,79 – 1,51) an Tag 60). Während der ersten 28 Tage wiesen die Patienten in der PCT-Gruppe signifikant mehr Tage ohne Antibiotikatherapie auf (14,3 vs. 11,6 Tage, p < 0,0001).

Für die meisten sekundären Endpunkte (Anteil der Patienten mit wiederkehrender oder Superinfektion, Anzahl der Tage ohne mechanische Beatmung, SOFA-Score außer an Tag 28, Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation und im Krankenhaus, Anteil neu aufgetretener multiresistenter Erreger) gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen. Die Anzahl der Antibiotikatherapietage/1000 Patiententage war signifikant geringer in der PCT-Gruppe (653 vs. 812 Tage; p < 0,0001), ebenso wie die Dauer der ersten Antibiotikatherapie in der Gesamtpopulation (6,1 vs. 9,9 Tage; p < 0,0001).

Abschließend führen die Autoren mehrere Limitationen an. Erstens, dass das Design der Studie offen war und nur 8 Intensivstationen daran teilgenommen haben. Zweitens waren nur 10 % der eingeschlossen Patienten von chirurgischen Stationen, so dass die Daten nicht auf diese Patientengruppe übertragbar sind, da PCT hier auch ohne Vorliegen einer Infektion erhöht sein kann. Drittens wurden 53 % der Patienten in der PCT-Gruppe nicht entsprechend der Vorgaben PCT-gesteuert therapiert, obwohl sich die Ergebnisse auch unter Berücksichtigung dieser Tatsache nicht verändert haben. Viertens starben in der PCT-Gruppe zwischen dem 29. und dem 60. Tag etwas mehr Patienten in der PCT-gesteuerten Therapie. Nach der Berücksichtigung von Confoundern ergaben sich aber keine signifikant unterschiedlichen Odds Ratios. Fünftens wurde der Probenumfang so gewählt, dass erst ein 10 %iger Unterschied in der Mortalität zwischen den beiden Gruppen erkannt werden kann. Dies wird damit begründet, dass Studien, die den Mortalitätsunterschied zwischen adäquat und inadäquat antibiotisch behandelten Patienten untersuchen, nach Recherchen der Autoren eine 10 – 40 % erhöhte Sterblichkeit finden. Sechstens basierten die verwendeten Definitionen für wiederkehrende und Superinfektionen auf mikrobiologischen Untersuchungen, die bei Patienten, die die Station bereits verlassen haben, seltener durchgeführt werden und daher das entsprechende Risiko unterschätzen. Außerdem wurde keine formale Kosten-Nutzen-Analyse durchgeführt. Die Autoren verweisen hier allerdings auf andere Studien, die durch PCT-Steuerung eine Einsparung von 114 € täglich bei der Therapie von nosokomialen Blutstrominfektionen auf Intensivstationen errechnet haben.

Die Autoren schlussfolgern, dass eine PCT-gesteuerte Antibiotikatherapie für die meisten nicht-chirurgischen Patienten, inklusive immunsupprimierter Patienten, von Nutzen ist und den Selektionsdruck für (multi)resistente Erreger reduzieren könnte.

Fazit: Die vorliegende Studie zeigt trotz einiger Limitationen, dass durch Anwendung einer Procalcitonin-gesteuerten Antibiotikatherapie die Menge der verabreichten Medikamente deutlich reduziert werden kann, ohne bei der Mortalität unterlegen zu sein. Insbesondere zur Beendigung einer bereits begonnenen antimikrobiellen Therapie scheint diese Strategie sinnvoll zu sein. Abhängig von den individuell verwendeten Medikamenten und den Laborkosten ist ein deutliches Sparpotential vorhanden. Wie sich die abnehmende Verschreibung von Antibiotika auf die Resistenzentwicklung beim individuellen Patienten und auf die Situation auf der einzelnen Station bzw. im gesamten Krankenhaus auswirkt, sollte in zukünftigen Studien untersucht werden.

Für einzelne Krankheitsbilder, wie die beatmungsassoziierte Pneumonie sind klinische Deeskalationsschemata beschrieben. Vorteilhaft bei der Verwendung von Procalcitonin als Laborparameter ist, dass es schnell, objektiv und für zahlreiche Krankheitsbilder eingesetzt werden kann.

Dr. med. Patrick Weißgerber, Freiburg

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