Laryngorhinootologie 2010; 89(9): 557-559
DOI: 10.1055/s-0030-1255049
Der interessante Fall
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Dysphagie mit Übelkeit

Dysphagia with NauseaI. U. Teudt, F. Metternich
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Publikationsdatum:
08. Juli 2010 (online)

Wir präsentieren den Fall eines 73-jährigen Patienten mit den Leitsymptomen Dysphagie, Übelkeit und Würgereiz. Der Patient wurde zu uns in stark reduziertem Allgemeinzustand überwiesen, nachdem er einen Monat zuvor an einer traumatischen Schenkelhalsfraktur operiert worden war.

Anamnestisch gab der Patient an, seit 4 Monaten unter einer progredienten Dysphagie für feste und flüssige Speisen zu leiden. Ferner bestanden seit einem Monat eine persistierende Übelkeit mit Husten- und Würgereiz sowie eine Flüsterstimme.

Das oben beschriebene Leitsymptom der Dysphagie beinhaltet für den behandelnden HNO-Arzt eine große Anzahl von Differenzialdiagnosen, die während Diagnostik und Therapie bedacht werden müssen. Dabei kann die endgültige Diagnosestellung, als auch die Behandlung der zugrundeliegenden Erkrankung, über das Fachgebiet der HNO-Heilkunde hinausgehen und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Fachgebieten, wie zum Beispiel der Inneren Medizin, Neurologie oder Orthopädie, bedürfen.

Im Folgenden werden die wichtigsten Differenzialdiagnosen der Dysphagie vorgestellt. Aufgrund der Anatomie ist es dabei hilfreich, die oropharyngolaryngeale Dysphagie (Typ 1) von der ösophagealen Dysphagie (Typ 2) zu unterscheiden:

Im Oropharynx und Larynx liegen häufig entzündliche oder traumatische Ursachen vor. Ferner finden sich gut- oder bösartige Neoplasien, Divertikel, Halszysten eine Xerostomie oder Stenosen. Ausfälle der Hinnerven XII, X, IX sowie zentralnervöse Erkrankungen wie die Bulbärparalyse, Multiple Sklerose, Morbus Alzheimer und Morbus Parkinson können zur Dysphagie führen. Als muskuläre Ursachen können z. B. eine Myasthenia Gravis, Dermatomyositis oder eine thyreotoxische Myopathie zugrunde liegen. Desweiteren sind neurotisch oder psychogen getriggerte Dysphagien und die Erkrankungen der Halswirbelsäule mit Halsrippen, Spondylolisthese und Morbus Forestier zu bedenken. Zuletzt müssen auch internistische und dermatologische Erkrankungen, wie z. B. die Sklerodermie, in der Differenzialdiagnose Dysphagie Typ 1 berücksichtigt werden.

Die Genese der ösophagealen Dysphagie kann in entzündlich, traumatisch, dysgenetisch, nerval, medikamentös und neoplastisch unterteilt werden. Viele internistische und dermatologische Erkrankungen sind hier ebenfalls von Bedeutung. Zu betonen sind Motilitätsstörungen wie zum Beispiel die Achalasie, der Presbyösophagus und die Sphinkterdyskinesie.

In der HNO-ärztlichen Spiegeluntersuchung unseres Patienten zeigten sich reizlose Schleimhäute im Bereich des Naso- und Oropharynx. Auffallend war jedoch eine Raumforderung an der Rachenhinterwand, welche die intakte Schleimhaut glatt protubierte und die Glottisebene partiell verlegte ([Abb. 1]). Flexibel endoskopisch ließ sich darunter ein reizloser Larynxbefund erheben. Die Stimmbandbeweglichkeit war beidseits vorhanden, ohne einen suffizienten, kraftvollen Stimmbandschluss aufzuweisen. Die Sinus piriformes und der Ösophaguseingang waren, bei eingeschränkter Beurteilbarkeit, flexibel endoskopisch unauffällig.

Abb. 1 zeigt die Rachenhinterwand des Patienten mit der pathologischen Raumforderung betrachtet durch eine 70 ° Optik. Ein Kontakt zur Epiglottis ist deutlich erkennbar.

Die Computertomografie der Halsweichteile ließ eine massive Hyperostose der Halswirbelsäule erkennen, welche sich von Höhe C2–C7 entlang des anterioren longitudinalen Ligaments (ALL) ausbreitete ([Abb. 2a, b]). Auch wenn damit die Ätiologie der Beschwerden erkannt zu sein schien, führten wir zum sicheren Ausschluss einer zusätzlichen Pathologie, wie zum Beispiel eines in der CT schlecht erkennbaren Oberflächenkarzinoms im Sinus piriformis, eine starre Panendoskopie in Vollnarkose durch. Außer der Raumforderung an der Rachenhinterwand, die sich palpatorisch hart und nicht verschieblich darstellte, war der übrige Befund unauffällig. Eine starre Ösophaguskopie war aufgrund der Raumforderung nicht möglich.

Abb. 2 a ist das Ergebnis einer Computertomografie der Halswirbelsäule in sagitaler Schichtung ohne Kontrastmittel. Gut lassen sich die massiven Hyperostosen entlang des ALL von C2–C7 radiologisch darstellen. In b ist die axiale Schichtung in Höhe C3 wiedergegeben. Die anteriore Hyperostose hat im Liegen Kontakt zur Epiglottis und zum Zungengrund.

Eine Raumforderung der Rachenhinterwand bietet diverse Differenzialdiagnosen. Diese sind besonders für den jungen HNO-Arzt von Interesse, da er/sie häufig chirurgische Eingriffe im Pharynx durchführt. Die für den HNO-Chirurgen gefährlichste retropharyngeale Raumforderung ist die ektop verlaufende Arteria carotis interna die teilweise ohne Bildgebung nur schwer abgrenzbar sein kann. Am häufigsten jedoch werden retropharyngeale Abszesse mit massiven Entzündungszeichen und Dysphagie beobachtet, welche entweder primär oder nach Fremdkörperverletzung entstanden sind. Aber auch „kalte” Abszesse bei Tuberkulose mit oder ohne Wirbelkörperläsion sind möglich. Die Gruppe der gutartigen Raumforderungen umfasst meist Lipome oder andere benigne Tumore der verschiedenen Gewebetypen. Neben den gutartigen sind auch maligne Tumore retropharyngeal beschrieben worden. Exemplarisch werden hier nur einige Entitäten wie das Liposarkom, Ewing-Sarkom und das Rhabdomyosarkom genannt. Primäre Erkrankungen der Wirbelsäule, wie Synovialzysten und Hyperostosen (Morbus Forestier) sind ebenfalls zu erwägen. Zuletzt soll noch auf die Möglichkeit der spontanen, traumatisch oder auch iatrogen ausgelösten Hämatomentstehung im Spatium retropharyngeum, zwischen Halswirbelsäule und prävertebraler Muskulatur, hingewiesen werden. Dies betrifft vor allem antikoagulierte Patienten (F. Skhmäl und W. Stoll, HNO 2002; 50: 418–423).

Beim dem hier dargestellten Befund handelt es sich um eine Maximalvariante der diffusen idiopathischen skelettalen Hyperostose (DISH; im englischen diffuse scelettal idiopathic hyperostosis), auch Morbus Forestier genannt.

Im Jahr 1950 erkannten der französische Arzt J. Forestier und sein Mitarbeiter J. Rotes-Querol die ausgeprägte Hyperostose der Wirbelsäule als eigene pathomorphologische Entität und nannten sie aufgrund der Altersverteilung senile ankylosierende Hyperostose der Wirbelsäule (Forestier et al., Ann Rheum Dis 1950; 9: 321–330). Erst 1976 prägten Resnick et al. die Abkürzung DISH, die durch 3 radiologische Kriterien von anderen Hyperostosen abzugrenzen ist: (1) überbrückende Hyperostosen am ALL von mindestens 4 Wirbelkörper Länge, (2) keine Ankylosierung zwischen den Facettengelenken sowie dem Sakroilialgelenk und (3) keine degenerative Abflachung des Intervertebralraums (Resnick et al., Radiology 1976; 119: 559–568). Die Ätiologie der DISH ist bis heute unklar. Nicht alle Patienten die eine DISH aufweisen sind symptomatisch. Lediglich 17–28% entwickeln aufgrund zervikaler Hyperostosen eine Dysphagie (Maiuri et al., Arch Orthop Trauma Surg 2002; 122: 245–247, Resnick et al., Radiology 1976; 119: 559–568).

Zur Entstehung der Dysphagie durch DISH werden mehrere Pathomechanismen angegeben: Die offensichtlichsten sind eine mechanische Einengung des Pharynx oder Ösophagus sowie die Alteration eines suffizienten Epiglottisschluss, durch Hyperostosen der Wirbel C3–C4. Aber auch Entzündungen der prävertebralen Verschiebeschicht mit zunehmender Fixation des Pharynx und Larynx während des Schluckakts, sowie durch Knochenwucherungen ausgelöste cricopharnygeale Spasmen, werden diskutiert. Neben der Dysphagie wird auch von Stimmbandminderbeweglichkeiten und Larynxödemen berichtet, deren Genese durch die DISH zwar langsam ist, die aber letztlich in einer gefährlichen Notfallsituation mit Tracheotomie enden können.

Die Therapie der durch DISH ausgelösten Dysphagie richtet sich nach dem Ausmaß der Hyperostosen, deren Lokalisation, sowie den Symptomen des Patienten. Bei nur leichter Dysphagie kann zunächst ein konservativer Therapieversuch mit Antiphlogistika und Kortikoiden erfolgen. Dieser Ansatz stützt sich auf den oben diskutierten, entzündlichen Pathomechanismus. Auch diätetische Maßnahmen, wie weiche Kost, können eine Linderung der Dysphagie schaffen. Für einen dauerhaften Therapieerfolg ist jedoch die chirurgische Osteophytenabtragung anzustreben.

Die Osteophytenabtragung erfolgt meist durch einen linken anterolateralen, extrapharyngealen Zugang und kann interdisziplinär durch einen HNO- und Wirbelsäulenchirurgen erfolgen. Nach Abtragung der Hyperostosen mittels Rongeur und Bohrer muss auf die Stabilität der Wirbelkörper geachtet werden. Bei Instabilität kann in einigen Fällen eine Spondylodese erforderlich werden. Einige Patienten beobachten erst Wochen nach der Operation ein Abklingen der Dysphagiebeschwerden. Es wird vermutet, dass in dieser Zeit eine, durch den vormals bestehenden Osteophyten ausgelöste Entzündung/Fibrose der Verschiebeschichten, abheilt. (McCafferty et al., J Neurosurg 1995; 83: 13–17).

Nach Vorstellung des Patienten bei unseren Wirbelsäulenchirurgen, wurde die Indikation zu dem oben beschriebenen Operationsverfahren gestellt. Präoperativ erfolgte in diesem Fall zunächst eine chirurgische Tracheostomaanlage nach Björk, um weitere Aspirationen durch den DISH induzierten, insuffizienten Glottisschluss zu vermeiden und den Atemweg postoperativ zu sichern. Bei Kachexie wurde zur Ernährungssicherung eine PEG-Sonde mittels Seldingertechnik gelegt, da das flexible Gastroskop die zervikalen Hyperostosen nicht mehr passieren konnte. Bedauerlicherweise verstarb der Patient am Vortag der OP an einem kardiovaskulären Ereignis, sodass eine Kontrolle der geplanten Behandlungsstrategie nicht mehr erfolgen konnte. In der Literatur wird 10 Jahre nach durchgeführter Hyperostosenabtragung von Rezidiven berichtet, die aber größtenteils asymptomatisch waren und nur in einem von 20 Fällen einer erneuten Abtragung bedurften (Miyamoto et al., Eur Spine J 2009; 18: 1 652–1 658).

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