Der Klinikarzt 2010; 39(4): 173
DOI: 10.1055/s-0030-1254359
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Vom Umgang mit Infektionskrankheiten

Rüdiger Braun
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Publication Date:
01 May 2010 (online)

Es liegt in der Natur von Infektionskrankheiten, dass sie sich ausbreiten. Entweder direkt von Mensch zu Mensch über Tröpfcheninfektion, Körperkontakte etc. oder über Zwischenwirte und Vektoren wie bei der FSME und anderen. Es liegt ebenfalls in der Natur von Infektionskrankheiten, dass „neue“ Erreger auftreten oder sich Erreger verändern, um so Selektionsvorteile zu erlangen. Man merke, Natur ist veränderbar und unterliegt einem stetigen Wandel. Es wird klar ersichtlich, dass im Durchschnitt jedes Jahr wenigstens ein neuer Erreger entdeckt wurde oder neu aufgetreten ist. Dies wird voraussichtlich auch in den kommenden Jahren so sein und wir müssen uns darauf einstellen, immer wieder mit neuen Infektionskrankheiten und deren Symptomen konfrontiert zu werden.

Die Frage stellt sich jedoch, wie wir mit solch neuen Erregern umgehen. Zur Beantwortung dieser Frage hilft immer ein Blick auf die Erfahrung mit früheren Infektionsketten und Epidemien. Hier zeigen sich mehrere Phänomene: Zum einen sind „neue“ Erreger meist nicht grundsätzlich neu, sondern treten durch das Überspringen der Speziesbarriere beim Menschen neu auf, wie z. B. das HI-Virus, das Nipah-Virus oder das neue Grippevirus, das schon recht lange beim Schwein nachweisbar war (siehe Beitrag von Allwinn und Doerr in diesem Heft). Andere neue Viren entstehen durch Neukombination verschiedener Erreger wie manche Riboviren. Weiterhin treten Erreger durch klimatische und kulturelle Veränderungen aus ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet heraus wie z. B. das Dengue-Fieber (siehe Beitrag von Hufert und Dobler). Da die meisten viralen und bakteriellen Erreger schon sehr lange existieren, darf zunächst angenommen werden, dass eine Übertragung auf den Menschen und dann von Mensch zu Mensch schon viel früher zustande gekommen wäre, wäre der Erreger für den Menschen hochkontagiös und gleichzeitig von hoher Pathogenität. Dies ist offensichtlich eher nicht der Fall und so wird man die Kombination beider Eigenschaften bei neu auftretenden Erregern eher selten antreffen.

Dies zeigt sich auch bei der jüngsten Schweinegrippe-Epidemie, deren Erreger zwar hochkontagiös, verglichen mit vorhergegangenen Grippeepidemien jedoch keinesfalls hoch pathogen ist. Umgekehrt verhält es sich aus bestimmten Gründen bei der Vogelgrippe, deren Erreger für den Menschen zwar hochpathogen, aber wenig kontagiös ist.

Weiterhin zeigt die Erfahrung, dass die Pathogenität eines neuen Erregers mit dessen zunehmender Ausbreitung tendenziell eher abnimmt. Dies ist aus evolutionären Gründen zwingend, da der Erreger gemeinsam mit seinem Wirt möglichst lange überleben will und die Evolution daher auf Erreger geringerer Pathogenität selektiert. Dieser Sachverhalt sollte nicht aus dem Blick verloren werden. Betrachtet man unter diesen Aspekten die kürzliche Pandemie mit dem neuen Grippevirus, für die der bisherige Pandemiebegriff der WHO ja eigens geändert wurde, und die Reaktionen in Presse und Öffentlichkeit auf dieses neue Virus, so erscheint manche Reaktion im Nachhinein etwas übertrieben. Natürlich ist eine Betrachtung „ex post“ immer einfach und es gilt selbstverständlich in solchen Situationen immer „better safe than sorry“. Unter diesen Aspekten ist es auch richtig, dass medizinisch und politisch Verantwortliche einer Eskalation der Situation durch die Bevorratung entsprechender antiviraler Medikamente und die Bereitstellung von Impfstoffen vorbeugen müssen. Die Hast und die weit überwiegend übertriebene Panikmache im Management dieser Pandemie verkannten jedoch ganz überwiegend elementare infektiologische Grundsätze, wie oben genannt. So mussten aufgrund im Endeffekt harmloser Zwischenfälle Gesundheitseinrichtungen teilweise geschlossen werden und standen somit für eine medizinische Versorgung der Bevölkerung zeitweise nicht zur Verfügung. Hätten sich in dieser Situation Praxen, Krankenhäuser und andere Einrichtungen der Gesundheitsversorgung an Buchstaben und durchaus auch Sinn aller erlassenen Vorschriften und Verordnungen gehalten, so wären auch größere Einrichtungen für längere Zeit für die medizinische Versorgung der Bevölkerung nicht mehr zur Verfügung gestanden. Der hierdurch angerichtete Schaden wäre wohl größer gewesen als das individuelle Risiko durch die neue Grippe. Es bleibt daher zu hoffen, dass in einer künftigen ähnlichen Situation das Infektionsmanagement mit Ruhe und Vertrauen in die Sachkenntnis der vor Ort tätigen medizinischen Versorgungsinstitutionen betrieben wird.

Prof. Dr. med. Rüdiger Braun

Stuttgart/Esslingen

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