Handchir Mikrochir Plast Chir 2010; 42(3): 151-152
DOI: 10.1055/s-0030-1253432
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Lunatumnekrose

Kienböck's DiseaseKarlheinz Kalb
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Publication Date:
09 June 2010 (online)

100 Jahre ist es her, dass Robert Kienböck 1910 seine berühmte Arbeit „Über traumatische Malazie des Mondbeins und Ihre Folgezustände: Entartungsformen und Kompressionsfrakturen” publiziert hat [1]. Durch diese Veröffentlichung ist sein Name gleichsam synonym mit der Erkrankung des Mondbeines assoziiert geblieben, die früher als Lunatummalazie, heute dagegen vorzugsweise als Lunatumnekrose bezeichnet wird.

Aus diesem Anlass findet im Mai diesen Jahres ein internationales Symposium zu Ehren Robert Kienböck's in Wien statt. Internationale Experten werden ihre neuesten Forschungsergebnisse präsentieren und einen repräsentativen Überblick über den aktuellen Wissensstand bezüglich dieser Erkrankung geben. So bot es sich für die Herausgeber dieser Zeitschrift an, sich zu diesem Zeitpunkt nochmals in einem Schwerpunktheft mit dem Krankheitsbild der Lunatumnekrose auseinanderzusetzen. Dabei soll einerseits eine aktuelle Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Wissensstandes erfolgen, andererseits sollen Perspektiven für künftige Entwicklungen aufgezeigt werden.

12 Jahre sind inzwischen seit dem letzten Themenheft dieser Zeitschrift über die Lunatumnekrose vergangen. Damals schrieb Prof. Lanz das Editorial [2]. Er sah als Fazit der damaligen Beiträge die Klärung der Ätiologie und die Erarbeitung klarer Therapieempfehlungen auf der Grundlage von Studien, die nach einem anerkannten einheitlichen Bewertungsmaßstab ausgewertet werden, als vordringliche Aufgaben für die Zukunft an.

Wie sieht nun heute – 12 Jahre später – die Bilanz unserer Bemühungen aus? Zahlreiche Publikationen haben sich seither mit der Lunatumnekrose beschäftigt. Dennoch sind viele Aspekte dieses Krankheitsbildes rätselhaft geblieben.

Nach wie vor existieren verschiedene Hypothesen und Theorien zu Ätiologie und Pathogenese der Mondbeinnekrose, ohne dass wir wirklich gesicherte Erkenntnisse postulieren können. Carlos Irisarri beschäftigt sich in diesem Heft mit dieser Thematik und kommt unter Einbeziehung genetischer Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass bislang eine überzeugende Klärung der Ätiologie nach wie vor nicht möglich ist [3].

Mindestens ebenso kontrovers werden die therapeutischen Empfehlungen diskutiert. Dies liegt daran, dass letztlich keine wirklich vergleichbaren Langzeitergebnisse der verschiedenen zur Therapie der Lunatumnekrose eingesetzten Behandlungsverfahren existieren. In der Regel hat man es mit einer gut überschaubaren Anzahl an Patienten zu tun, die nach einem festgelegten Therapieprinzip ohne Kontrollgruppe behandelt und retrospektiv nachuntersucht wurden. Will man solche Arbeiten miteinander vergleichen, so stellt sich häufig heraus, dass unterschiedliche und nicht vergleichbare Einschluss- oder Bewertungskriterien zugrunde gelegt wurden. Die Übersichtsarbeit von Daecke und Mitarb. [4] stellt die in der Literatur vorhandenen Langzeitergebnisse in einer Übersicht zusammen und leistet somit einen entscheidenden Beitrag, um auf einer sachlichen Grundlage Behandlungsergebnisse einordnen zu können. Erwartungsgemäß wird dabei deutlich, dass Langzeitergebnisse definierter Operationsverfahren in relevanter Fallzahl absolute Mangelware sind. Nach meiner Einschätzung wird man dies nur ändern können, wenn bei diesem insgesamt doch seltenen Krankheitsbild regelhaft ein nachvollziehbar exakt klassifizierter Ausgangsbefund erhoben wird und nach gängigen Kriterien systematisch die Langzeitverläufe erfasst werden.

Entscheidende Fortschritte konnten dagegen durch die verbesserte Qualität der bildgebenden Diagnostik erzielt werden, deren Potenzial sich bereits vor 12 Jahren abgezeichnet hatte. Die rasante Entwicklung der kontrastmittelverstärkten hochauflösenden Kernspintomografie hat uns eine überaus sensitive Möglichkeit zur Frühdiagnostik pathologischer Prozesse im Mondbein an die Hand gegeben. Die hochauflösende Dünnschichtcomputertomografie lässt das Erkrankungsstadium und den ossären Status des Mondbeines minutiös erfassen. Beide Techniken können darüber hinaus in der Verlaufsbeurteilung einen wesentlichen Beitrag leisten.

Grundlage einer suffizienten Behandlung der Lunatumnekrose ist eine einheitliche Klassifikation. Allgemein durchgesetzt hat sich hier sicherlich die Einteilung nach Lichtman und Ross [5], die es ermöglicht, das Krankheitsbild deskriptiv subtil zu erfassen und den Verlauf zu beurteilen. Allerdings ist aufgrund der Fortschritte der bildgebenden Diagnostik eine Spezifizierung erforderlich, die die modernen diagnostischen Möglichkeiten einbezieht.

Vor diesem Hintergrund ist die Arbeit von Schmitt und Kalb als Bestandsaufnahme der gegenwärtigen diagnostischen Möglichkeiten unter Einbeziehung der hochauflösenden Magnetresonanz-Tomografie sowie der Dünnschicht-Computertomografie aufzufassen [6]. Ergänzt wird dieser Aspekt von Lesley und Lichtman [7], die ihre aktuelle Sichtweise der Klassifikation und künftige Perspektiven auch im Hinblick auf therapeutische Konsequenzen zusammenfassen. Dieser Artikel hat deshalb Bedeutung, da die bislang allgemein anerkannte Klassifikation von David Lichtman entwickelt wurde.

Umstritten ist weiterhin der Stellenwert revaskularisierender Therapieverfahren zur Behandlung der Lunatumnekrose. Ulrich Lanz wies bereits vor 12 Jahren auf die Problematik hin, dass bei der Lunatumnekrose einerseits nicht das ganze Mondbein nekrotisch ist und andererseits bei einer Wiederherstellung der regulären Höhe des Mondbeines die pathologische Druckbelastung als pathogenetischer Faktor wiederhergestellt wird. Er sah keinen überzeugenden Nachweis, dass durch ein revaskularisierendes Verfahren der nekrotische Anteil des Lunatum wieder revitalisiert werden könne [2]. Dennoch werden unterschiedliche revaskularisierende Verfahren in der Literatur beschrieben. Vor diesem Hintergrund beleuchtet die Arbeit von Arora und Mitarb. [8] den Stellenwert revaskularisierender Verfahren durch Darstellung ihrer eigenen Ergebnisse mit der aufwendigen Technik der Verpflanzung eines mikrovaskulär angeschlossenen freien Beckenkammspanes in das Os lunatum und vergleichen diese Technik in der Diskussion mit alternativen Verfahren. Die bekannte Problematik kleiner Fallzahlen und schlecht vergleichbarer Kollektive lässt eine objektive Beurteilung des Stellenwertes dieser Techniken allerdings dennoch nicht zu.

Ein bedeutsamer Aspekt, der sich in den letzten Jahren zunehmend herauskristallisiert hat, ist die Erkenntnis, dass die Lunatumnekrose nicht nur eine Erkrankung des Erwachsenen ist. Sie tritt – wenngleich weitaus seltener – auch im Kindes- und Jugendalter auf. Dies wäre ja nun zunächst noch nichts Besonderes. Allerdings zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass sich die Erkrankung in dieser Altersgruppe anders verhält als beim Erwachsenen [9]. Eigene Ergebnisse [10] untermauern die Beobachtung, dass die Lunatumnekrose im Kindes- und Jugendalter altersabhängig verläuft und dass es sich um eine temporäre Erkrankung handelt. Den sich hieraus ergebenden Konsequenzen trägt das von uns beschriebene Therapiekonzept für diese Altersgruppe Rechnung.

Im Gegensatz zu früher kommt heute auch der Arthroskopie eine zunehmende Bedeutung in der Diagnostik und möglicherweise sogar in der Therapie der Lunatumnekrose zu [11] [12]. Somit wird erstmals der Zustand der Knorpelflächen im Gesamtkonzept berücksichtigt. Mit dem Stellenwert der Arthroskopie in der Diagnostik der Lunatumnekrose beschäftigen sich Lesley und Lichtman [7], sowie in einem eigenen Artikel Pillukat und Mitarb. [13]. Dabei sind die insgesamt noch sehr geringen Fallzahlen zu bedenken. Dennoch scheint sich hier eine zusätzliche Möglichkeit abzuzeichnen, um eine auf den individuellen Fall besser maßgeschneiderte Therapieentscheidung treffen zu können. In jedem Fall ist hier ein weiterer Klärungsbedarf zu sehen.

Auch wenn die Ätiologie der Lunatumnekrose weiterhin ungeklärt ist, so haben sich doch in den 12 Jahren seit dem letzten Schwerpunktheft „Lunatumnekrose” dieser Zeitschrift einige neue Aspekte in Diagnostik, Klassifikation und Behandlung aufgetan. Teils müssen sich diese neuen Konzepte noch bewahrheiten und bewähren, teils muss man aber schon von einem Fortschritt sprechen. Die frühe Diagnosestellung mittels kontrastmittelvertärktem Magnetresonanztomogramm, lange bevor sich auf konventionellen Röntgenaufnahmen Veränderungen zeigen, bietet die Möglichkeit zur konservativen Therapie mit guten Ausheilungschancen ohne bleibende Schäden, wobei der Therapieerfolg idealerweise mit der Magnetresonanztomografie zu überprüfen ist.

Abgerundet wird dieses Heft durch eine Würdigung des Lebens und des Werkes von Robert Kienböck [14].

Ich möchte mich bei allen Autoren ganz herzlich für ihre Mitarbeit an diesem Themenheft bedanken, das den aktuellen Wissensstand zur Lunatumnekrose zusammenfasst und gleichzeitig Anregungen für künftige Forschung gibt.

Literatur

  • 1 Kienböck R. Über traumatische Malazie des Mondbeins und Ihre Folgezustände: Entartungsformen und Kompressionsfrakturen.  Fortschr Geb Rontgenstr. 1910;  16 77-103
  • 2 Lanz U. Mondbeinnekrose.  Handchir Mikrochir Plast Chir. 1998;  30 139-141
  • 3 Irisarri C. Aetiology of Kienböck's disease.  Handchir Mikrochir Plast Chir. 2010;  im Druck
  • 4 Daecke W. Kienböck's disease: an actual summary with long-term results of the therapeutic options.  Handchir Mikrochir Plast Chir. 2010;  im Druck
  • 5 Lichtman DM, Ross G. Revascularization of the Lunate in Kienböck's Disease.. In: Gelberman R ed. The wrist. New York: Raven Press Ltd; 1994: 363-372
  • 6 Schmitt R, Kalb K. Bildgebende Diagnostik der Lunatumnekrose.  Handchir Mikrochir Plast Chir. 2010;  im Druck
  • 7 Lesley N, Lichtman D. Classification and Treatment of Kienböck's Disease: A Review of the Past 100 Years, and a Look at the Future.  Handchir Mikrochir Plast Chir. 2010;  im Druck
  • 8 Arora R. Free Vascularised Iliac Bone Graft for Kienböck's Disease Stage 3.  Handchir Mikrochir Plast Chir. 2010;  im Druck
  • 9 Irisarri C. Aetiology of Kienböck's disease.  J Hand Surg [Br]. 2004;  29 281-287
  • 10 Kalb K, Pillukat T, Schmitt R. et al . Die Lunatumnekrose im Kindes- und Jugendalter.  Handchir Mikrochir Plast Chir. 2010;  im Druck
  • 11 Menth-Chiari WA, Poehling GG, Wiesler ER. et al . Arthroscopic debridement for the treatment of Kienböck's disease.  Arthroscopy. 1999;  15 12-19
  • 12 Bain GI, Begg M. Arthroscopic assessment and classification of Kienböck's disease.  Tech Hand Up Extrem Surg. 2006;  10 8-13
  • 13 Pillukat T. Arthroskopie bei der Lunatumnekrose – Stellenwert für Diagnostik und Therapie.  Handchir Mikrochir Plast Chir. 2010;  im Druck
  • 14 Langer M. Robert Kienböck und die Kienböck'sche Erkrankung – eine historische Würdigung.  Handchir Mikrochir Plast Chir. 2010;  im Druck

Korrespondenzadresse

Dr. Karlheinz Kalb

Rhön-Klinikum AG

Klinik für Handchirurgie

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Email: DrKalb@web.de

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