Zahnmedizin up2date 2010; 4(6): 579-596
DOI: 10.1055/s-0030-1250453
Kinderzahnheilkunde

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kariesprophylaxe in der Kinderzahnheilkunde

Ulrich Schiffner
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Publication Date:
03 December 2010 (online)

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Einleitung

Die Karies ist bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland seit über 2 Jahrzehnten in einem deutlichen Rückgang begriffen (Abb. [1]) [[1], [2]]. So weisen die 12-Jährigen im Durchschnitt lediglich 0,7 bleibende Zähne mit (das Dentin einbeziehender) Karieserfahrung auf, und bei den 15-jährigen Deutschen sind im Mittel nur 1,8 Zähne mit Karies auszumachen. Damit zählen die deutschen Kinder und Jugendlichen, das bleibende Gebiss betreffend, heute international zu den Gruppen mit der geringsten Karieserfahrung. Dieser Erfolg ist auf eine Reihe von unterschiedlichen Maßnahmen der Kariesprävention zurückzuführen. Ein Teil dieser Maßnahmen ist für alle Kinder und Jugendlichen gleichermaßen anzuwenden. Darüber hinausgehend sind jedoch andere Maßnahmen gezielt in Abhängigkeit vom jeweils individuellen Kariesrisiko indiziert. Im folgenden Beitrag soll die Anwendung der Maßnahmen im Vordergrund stehen, ohne jedoch Aspekte der medizinischen Evidenz einzelner Maßnahmen außer Acht zu lassen.

Abb. 1 Kariesrückgang bei 12-jährigen Kindern in Deutschland (DMS I–IV: Deutsche Mundgesundheitsstudien, DAJ: DAJ-Studien; DMFT: Summe der kariösen oder wegen Karies gefüllten oder extrahierten Zähne). (Abbildung aus: Schiffner U. Kariesprävention. Kinder- und Jugendmedizin 2008; 8: 479 – 485. Mit freundlicher Genehmigung des Schattauer Verlags.)

Kariesätiologie

Im Mittelpunkt der Kariesätiologie steht die stoffwechselaktive bakterielle Plaque, in der bei zuckerhaltiger Ernährung Säuren entstehen, welche die Zahnoberflächen demineralisieren. Karies ist das Resultat dieser demineralisierenden Einwirkungen und gleichzeitig remineralisierender Vorgänge an der Zahnoberfläche, welche parallel zueinander auftreten. Gefördert werden die Remineralisationsvorgänge durch Fluorid.

Bei diesen zentralen Faktoren der Kariesentstehung stehen in Form von Mundhygieneunterweisung, Ernährungsberatung und Fluoridanwendung erprobte Hauptstrategien der Kariesprävention zur Verfügung. Diese individuell oder auch in Gruppen anwendbaren Maßnahmen der eigenverantwortlichen Prävention werden durch professionelle zahnärztliche Maßnahmen ergänzt. Aktuelle Vorgehensweisen basieren allerdings weniger auf der gleichförmigen Anwendung dieser Strategien für alle Patienten, sondern zielen auf die Erstellung eines individuellen Präventionskonzepts ab.

Kariesrisikodiagnostik

Für die Kariesrisikodiagnostik stehen Tests zur Bestimmung von Leitkeimen der Karies (Mutans-Streptokokken und Laktobazillen) oder von zahnsubstanzlösenden Stoffwechselprodukten der Bakterien (Milchsäure) zur Verfügung. Andere Ansätze haben die Bestimmung karieshemmender Faktoren wie der Pufferkapazität des Speichels zum Ziel. Die Bedeutung einzelner Tests der sog. Speicheldiagnostik zur Bestimmung des individuellen Kariesrisikos konnte bislang jedoch nur für Patienten ohne offensichtliche Karies bzw. mit sanierten Gebissen wissenschaftlich gestützt werden [[3]].

Merke: Angesichts der multifaktoriellen Kariesätiologie kann ein einzelner Test keine zuverlässige Prognose der zukünftigen Kariesentwicklung erzielen [4]. Kariesrisiko bei Kindern Für Kinder existieren einfache und praktikable Vorgehensweisen zur Kariesrisikoeinschätzung. So ist bei Kleinkindern das Vorhandensein sichtbarer Plaque an den Labialflächen der Frontzähne ein valider prognostischer Hinweis auf ein hohes Kariesrisiko [5] (Abb. 2). Für Kinder ab dem Alter von 2 bis zu 12 Jahren sind mit den „DAJ-Kriterien“ Grenzwerte der individuellen Karieserfahrung (DMF-Index) definiert worden, welche die Zuordnung zur Gruppe mit hohem Kariesrisiko erlauben [6]. Da diese Werte auf die Kariesverteilung früherer epidemiologischer Untersuchungen zurückgehen, ist ein Überschreiten der dort aufgeführten Karieserfahrung (kariöse, gefüllte oder wegen Karies extrahierte Zähne) angesichts des allgemeinen Kariesrückgangs ein umso stärkerer Indikator hoher Kariesgefährdung (Tab. 1). Abb. 2 Kleinkind mit sichtbarer Plaque an den Labialflächen der Frontzähne. Tabelle 1 Grenzwerte zur einfachen klinischen Ermittlung von Kindern mit erhöhtem Kariesrisiko anhand der Karieserfahrung (DAJ-Kriterien). Alter Grenzwert Bedeutung: Ein erhöhtes Kariesrisiko liegt vor, wenn… bis 3 Jahre dmft > 0 ein oder mehr Milchzähne Karieserfahrung aufweisen 4 Jahre dmft > 2 mehr als 2 Milchzähne Karieserfahrung aufweisen 5 Jahre dmft > 4 mehr als 4 Milchzähne Karieserfahrung aufweisen 6–7 Jahre dmft/DMFT > 5 oder DT > 0 entweder mehr als insgesamt 5 Zähne (Milch- + bleibende Zähne) oder mehr als ein bleibender Zahn Karieserfahrung aufweisen 8–9 Jahre dmft/DMFT > 7 oder DT > 2 entweder mehr als insgesamt 7 Zähne (Milch- plus bleibende Zähne) oder mehr als 2 bleibende Zähne Karieserfahrung aufweisen 10–12 Jahre DMFS an Approximal-/Glattflächen mindestens eine Glattfläche eines bleibenden Zahnes Karieserfahrung aufweist „Karieserfahrung“: kariöse oder aufgrund von Karies gefüllte oder extrahierte Zähne. „Karieserfahrung“: kariöse oder aufgrund von Karies gefüllte oder extrahierte Zähne.

Literatur

Prof. Dr. Ulrich Schiffner

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
Poliklinik für Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde

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