Gesundheitswesen 2010; 72(6): 316-322
DOI: 10.1055/s-0030-1249688
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interne Validierung von Diagnosen in GKV-Routinedaten: Konzeption mit Beispielen und Falldefinition

Internal Confirmation of Diagnoses in Routine Statutory Health Insurance Data: Concept with Examples and Case DefinitionsI. Schubert1 , P. Ihle1 , I. Köster1
  • 1PMV forschungsgruppe an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Universität zu Köln
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Publication Date:
17 May 2010 (online)

Zusammenfassung

Daten der Gesetzlichen Krankenversicherung haben in den letzten zehn Jahren für die Versorgungsforschung an Bedeutung gewonnen. Besonderes Interesse gilt hierbei den Diagnosen. Für alle Daten gilt, dass sie primär zu Abrechnungszwecken erhoben wurden und deshalb im Rahmen einer sekundären Analyse die Vollständigkeit, Plausibilität und Validität der Angaben zu prüfen ist. Hierbei wird eine externe Validierung, z. B. durch Vergleich mit den Aufzeichnungen des behandelnden Arztes oder durch eine unabhängige erneute medizinische Untersuchung, im Allgemeinen als Goldstandard bezeichnet, ist aber meist nicht möglich. Die in Routinedaten dokumentierten Diagnosen können jedoch durch weitere Informationen aus demselben Datenbestand intern validiert werden. Hierzu gibt es keine empfohlene Vorgehensweise. Ziel des Beitrages ist es, ein generisches internes Validierungskonzept für chronische Erkrankungen vorzustellen. Datenbasis ist die Versichertenstichprobe AOK Hessen/KV Hessen. Für drei chronische Erkrankungen – Herzinsuffizienz, Demenz und Tuberkulose – werden Kriterien zur Einschätzung der Validität der Diagnosen (z. B. Wiederholungen, Kodierung durch verschiedene Ärzte, Verordnungen) vorgestellt. Darauf aufbauend werden Algorithmen für die Definition epidemiologisch sicherer Fälle entwickelt und die darauf beruhenden Prävalenzschätzungen mit Ergebnissen anderer Datenquellen (Register und Survey) verglichen. Die Diagnosen „Herzinsuffizienz” und „Demenz” lassen sich zu 97% bzw. 80% intern bestätigen. Der vergleichsweise niedrige Prozentsatz bei Demenz ist durch die geringe Behandlungsrate der Demenzpatienten mit spezifischen Arzneimitteln bedingt. Die Prävalenzschätzungen zeigen eine gute Vergleichbarkeit mit Ergebnissen aus anderen Datenquellen. Bei der „Tuberkulose” können stationäre Entlassungsdiagnosen intern zu 100%, ambulante Diagnosen jedoch nur zu 40% bestätigt werden. Aus diesem Grund wurden die ambulanten Diagnosen nicht für die Falldefinition berücksichtigt. In der Versichertenstichprobe liegt die Inzidenz der Tuberkulose im Vergleich zu den Meldedaten etwas höher. Die Wahl und Gewichtung der Validierungskriterien sowie die Falldefinition müssen die Zielsetzung der geplanten Untersuchung berücksichtigen. Die Vorgehensweise ist transparent darzustellen.

Abstract

Over the course of the last few decades, statutory health insurance data have become increasingly important for health services research. Of particular interest in this context are diagnoses. Since all health insurance data are originally collected for billing purposes, secondary analyses should examine the completeness, plausibility, and validity of the information provided. While an external validation through, for example, a comparison with the physician's records or a second independent medical examination can be seen as a gold standard, this is often not feasible. For this reason, internal validation approaches are recommended for studies based upon diagnoses drawn from routine data. For such approaches, no established standards are currently available. The aim of this contribution is to introduce a generic internal validation concept for chronic diseases. Data employed in the present contribution stem from the health insuree sample of the AOK health insurance fund Hesse. Criteria for assessing the validity of diagnoses (e.g., repetitions, codes assigned by various physicians, prescriptions) are presented for three chronic diseases − heart failure, dementia, and tuberculosis. Building upon these criteria, algorithms for the definition of epidemiologically certain cases are developed and prevalence estimates formed on the basis of these algorithms are compared with other data sources (registers and surveys). Internal confirmation of the diagnoses of heart failure and dementia was possible in 97% and 80% of cases, respectively. The difference between the two diagnoses is due to the low rate of treatment with specific pharmaceuticals in the case of dementia. Prevalence estimates are comparable with those based on other sources. Inpatient discharge diagnoses of tuberculosis were internally confirmed in 100% and outpatient diagnoses in 40% of cases. For this reason, outpatient diagnoses were not considered for the case definition of tuberculosis. A comparison with tuberculosis surveillance data reveals a somewhat higher incidence in the insuree sample. In selecting and weighting criteria as well as employing a case definition, the research aim of the respective investigation must be taken into account. The adopted procedure is to be presented in a transparent manner.

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Korrespondenzadresse

Dr. I. Schubert

PMV forschungsgruppe an der KJP

Universität zu Köln

Herderstraße 52

50931 Köln

Email: Ingrid.Schubert@uk-koeln.de

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