Zusammenfassung
Ausgehend von einer kulturellen Untersuchung der Schuld- und Schamaffekte stellt der
Autor die These auf, dass diese Affekte gleichzeitig als eine Einheit auftreten und
die intersubjektiven Austauschprozesse regulieren. Diese regulierende Fähigkeit verdankt
die Schuld-Scham-Einheit der übereinstimmenden aber auch differierenden Beschaffenheit
dieser Affekte, die sie in ihrer Verwobenheit zusammenwirken lässt. Die Kulturen unterscheiden
sich darin, welchen Affekt sie mehr fördern. Gleichzeitig wird ein Dissoziationsmodell
vorgestellt, das von diesen Affekten getragen wird: In diesem Modell wird die Dissoziation
als Grundbaustein der Psyche verstanden, die auf eine Differenz hinweist und dadurch
die kleinste Wahrnehmungseinheit bildet, wenn sie durch die Affekte eine Wertung erfährt.
Die gewertete Differenz als Dissoziation hält das Subjekt und sein Gegenüber als getrennte
Einheiten in der Teilung sowohl getrennt als auch zusammen. Anschließend zeigt das
Fallbeispiel einer türkischen Analysandin, wie die Schuld-Scham-Affekte zur gegenseitigen
Abwehr genutzt werden und wie diese Schuld-Scham-Einheiten die dissoziativen Strukturen
erzeugen, aufrechterhalten und als Medium ihre Inhalte hin- und hertransportieren.
Schlüsselwörter
Schuld - Scham - Affekt - Dissoziation - Migranten aus islamischen Ländern
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Dipl.-Psych. Fatih Güç
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