Diabetologie und Stoffwechsel 2010; 5(2): 95-96
DOI: 10.1055/s-0030-1247353
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

Diabetes-Chirurgie und interventionelle Diabetes-Therapie: Aktueller Stand, Entwicklungen und Perspektiven

A. Burchard1 , D. Müller-Wieland1
  • 1Allgemeine Innere Medizin, Endokrinologie, Diabetes und Stoffwechsel, Institut für Diabetesforschung, Asklepios Klinik St. Georg, Hamburg
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
27. April 2010 (online)

Kürzlich ist das Ergebnis bzw. die Empfehlung des ersten Diabetes Surgery Summit (DSS) Consensus Conference publiziert worden [1] [2], welches auf der Evaluierung der aktuellen Datenlage durch 50 international repräsentative entsprechend spezialisierte Chirugen, Internisten und Grundlagenforschern beruht. Die drei wesentlichen Empfehlungen sind u. a.: 

Gastrointestinale Chirurgie (i. e. RYGB, LAGB, oder BPD-Erläuterungen hierzu siehe unten) sollten in der Behandlung des Typ-2-Diabetes berücksichtigt werden, d. h. bei chirurgisch akzeptablen Patienten mit einem BMI ≥ 35 kg / m2, die durch Lebensstil und medizinische Therapie nicht adäquat kontrolliert sind. Dies entspricht auch der neuesten Empfehlung der amerikanischen Diabetes-Gesellschaft [3]. Es sollten Standards zur Messung klinischer und physiologischer Ergebnisse der chirurgische Behandlung entwickelt werden und randomisierte kontrollierte Studien sollten gefördert werden. Die Untersuchung der gastrointestinalen (GI) metabolischen Chirurgie eröffnet wertvolle Möglichkeiten die Einflüsse des GI-Traktes auf die Glukosehomöostase und pathophysiologische Mechanismen des Typ-2-Diabetes zu untersuchen.

Die chirurgischen Verfahren können im Wesentlichen nach ihrer Hauptwirkung auf den Gastrointestinaltrakt und die Diabetestherapie unterschieden werden. Den internationalen Durchbruch zur grundsätzlichen Akzeptanz dieser Therapieformen bei sehr adipösen Patienten kam durch die Meta-Analyse von Henry Buchwald et al. [4] und die SOS-Studie [5]. 

In der Metaanalyse wurden 621 Studien mit insgesamt 135 246 Patienten ausgewertet [4]. Der durchschnittliche BMI lag bei 47,9 kg / m2. Werden alle Verfahren, die in diese Auswertung einflossen, betrachtet, dann konnte ein Gewichtsverlust von 38,5 kg erzielt werden. Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ 2 verloren sogar 40,6 kg. Beeindruckender als dieses Ergebnis war allerdings eine Remission des Diabetes. Eine Diabetes-Remission wurde definiert als die Beendigung einer vormals notwendigen antidiabetischen Medikation. Dies war im Mittel bei 78,1 % der operierten Patienten der Fall, nach zwei Jahren postoperativ waren es immerhin noch 62 % und die antidiabetische Potenz der BPD (biliopankreatische Diversion) war am größten, gefolgt von der RYGB (Roux-Y-Gastric Bypass) und der LAGB (laparakopische Gastric Banding). 

In der Schlüsselstudie SOS (Swedish Obese Study) von Lars Sjöström et al. wurden 4 047 Patienten mit einem BMI von 41 kg / m2 einer Operation (Banding o. Bypass) oder einer nicht-standardisierten Lebensstil-Intervention zugeordnet [5]. Die Studie lief über 10 Jahre, die Nachbeobachtung über insgesamt 15 Jahre. Neben einem deutlichen und über die volle Laufzeit anhaltenden Gewichtsverlust konnte hier eine Senkung der Gesamt-Sterblichkeit in der Gruppe der operierten Patienten gezeigt werden. Beeindruckend ist daneben eine deutlich verminderte Inzidenz für das Auftreten eines Diabetes mellitus Typ 2 über 10 Jahre im Vergleich zu den Kontroll-Patienten. 

Unklar ist bei all der Vielfalt an Verfahren und den beeindruckenden Ergebnissen letztlich der Wirkmechanismus dieser Operationen. Fast alle Studien konnten zeigen, dass eine Normalisierung der Blutzuckerwerte dem Gewichtsverlust zeitlich deutlich vorausgeht. Zum Teil lassen sich bereits wenige Tage nach der Operation normnahe Blutzuckerwerte messen, während der Gewichtsverlust erst weitaus später zu beobachten ist. Diskutiert werden u. a. eine veränderte Freisetzung verschiedenster Inkretine und neurohumorale Mechanismen im Sinne einer GI-ZNS-Achse. Zudem ist bei der Betrachtung der Wirkungsweise bariatrischer Eingriffe der Einfluss der postprandialen Nährstoffrestriktion auf eine Blutzuckernormalisierung ungeklärt. So wird nach einigen Operationen ein kompletter Kostaufbau erst nach ca. drei Monaten erreicht. Darüber hinaus ist das Phänomen des „ileal brake”, also der Feedback-Regulation von intestinaler Motilität, Sekretion und Resorption in diesem Zusammenhang noch nicht weiter untersucht. 

Die Mortalität dieser z. T. großen Operationen liegt mittlerweile mit 0,28 % im Bereich einer laparoskopischen Cholezystektomie. In 4,3 % finden sich aber schwere Nebenwirkungen, in erster Linie thrombembolische Ereignisse. Ein größeres Problem stellt eine nicht selten auftretende Dehydratation dar. Diese entsteht oft ebenfalls auf dem Boden des kleinen Magen-Reservoirs postoperativ. Ein weiteres, von anderen anorektischen Zuständen her bekanntes Problem, stellt das gehäufte Auftreten von Gallensteinen dar. Diesem wird von einigen Zentren mit der prophylaktischen Cholezystektomie begegnet. Vor allem bei den malabsorptiven Operationen lassen sich postoperativ Vitamin-Mangelzustände beobachten. Aus der Nachsorge von Magen-Resezierten Patienten ist die Substitution von Vitamin B12 bekannt, am praktikabelsten mit einer monatlichen s. c.-Gabe. Die übrigen Vitamine lassen sich im Regelfall mit Multivitaminpräparaten substituieren, wobei mit Ausnahme von Vitamin B1 trotz messbar niedriger Vitaminspiegel eine klinische Relevanz dieser Hypovitaminose nicht beschrieben wurde. Zur Erleichterung der Resorption vor allem der fettlöslichen Vitamine kann eine Kombination mit Pankreasenzymen sinnvoll sein. Eine besondere Beachtung in diesem Zusammenhang sollte der Knochenstoffwechsel nach bariatrischer Operation finden. So kommt es nicht selten zur Entwicklung einer verminderten Knochendichte. Einige Zentren berichten einen sekundären Hyperparathyreoidismus in bis zu 30 % der Fälle. Zur Vermeidung einer klinisch relevant verminderten Knochendichte sollte eine Substitution mit Kalzium von ca. 1–2 g / Tag und von Vitamin D mit 400–1 000 I. E. / Tag erfolgen. Eine ebenfalls besondere Situation stellt ein postoperativer Eisenmangel dar. Vor allem bei Frauen vor der Menopause lässt sich oft ein relevanter Eisenmangel feststellen. Die orale Substitution ist aufgrund der oft schlechten Verträglichkeit nicht immer unproblematisch, so dass gelegentlich eine parenterale Ergänzung notwendig wird. Durch zusätzliche Einnahme von Ascorbinsäure lässt sich die enterale Resorption und damit die Verträglichkeit in vielen Fällen verbessern. Abschließend sei noch der postoperativ gelegentlich zu beobachtende Zink-Mangel erwähnt. Dieser kann bei einigen Patienten zu beobachtenden Haarausfall führen und sollte substituiert werden. Ein größeres Problemfeld nach bariatrischen Operationen stellt die Möglichkeit der Entwicklung von Hepatopathien dar. Die Pathophysiologie ist nicht ganz klar. Unabhängig von der Operation stellt die Gruppe der morbid adipösen Patienten ein Risikokollektiv für die Entwicklung einer Lebererkrankung im Sinne einer NASH dar. Entsprechend findet sich zur Klärung des operativen Risikos auf die Entwicklung einer Lebererkrankung eine uneinheitliche Datenlage. Bei vielen Patienten wird postoperativ eine intermittierende Erhöhung der Transaminasen beobachtet, die im Regelfall nicht von einer Verschlechterung der Leberleistung begleitet wird und vollkommen reversibel ist. Daneben gibt es Studien, die eine histologische Verbesserung einer präoperativ bestehenden NAFLD in dem Masse zeigen, in dem das Körpergewicht fällt, so dass hier von einem günstigen Einfluss der Operation gesprochen werden kann. Ungünstigerweise zeigen andere Studien aber auch eine Zunahme einer präoperativ bestehenden Fibrose; eine Zirrhose oder ein Leberversagen wie bei den frühen Operationen wurde hier allerdings nicht mehr beobachtet. Aus dieser unsicheren Situation heraus ist eine engmaschige Kontrolle von Transaminasen und Leberleistung naheliegend. 

Perspektiven einer„interventionellen” Diabetestherapie sind u. a.: 

neue Zusammenhänge zwischen GI-Trakt, autonomen Nervensystem inkl. hypothalamischer Zentren zur Kontrolle der Nahrungszufuhr, des Blutdrucks und des Leber- und Adipozyten-Stofwechsels zu verstehen, neue Ziele bzw. Ansatzpunkte zur Therapie und Prävention des Typ-2-Diabetes zu identifizieren und spezifische Subgruppen von Patienten mit Typ-2-Diabetes zu charakterisieren.

Aufgrund der aktuellen Daten und Entwicklungen wurde von der DSS und der amerikanischen Diabetes-Gesellschaft in ihren neuesten Empfehlungen hervorgehoben, dass chirurgische Ansätze auch innerhalb von klinischen Studien bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und milder bzw. moderater Adipositas (BMI 30–35) untersucht werden sollten [1] [3]. In diesem Zusammenhang sind natürlich auch reversible Ansätze hoch interessant, die z. B. den GI-Trakt und wahrscheinlich auch das damit verbundenen autonome Nervensystem sowie hypothalamische Zentren inkl. Kontrolle der Nahrungszufuhr und des Blutdrucks beeinflussen können. 

Eine elektrische Stimulation des oberen Gastrointestinaltrakts liegt der Stimulationstherapie bei autonomer Gastropathie zugrunde [6]. Völlig anders hingegen ist der therapeutische Ansatz vom sogenannten Tantalus-System [7]. Das Tantalus-System ist in diesem Sinne kein Gastro-Stimulator, sondern erhöht die Antwort der glatten Muskulatur der Magenwand auf einen natürlichen Reiz. Dieses grundsätzliche Konzept der elektronischen Modulation wurde bereits erfolgreich bei der terminalen Herzinsuffizienz eingesetzt. Die Zellen werden während der absoluten Refraktär-Zeit stimuliert, hierdurch kommt es nicht zu einer Antwort, aber zu einer intrazellulären Freisetzung von Kalzium und eine Veränderung der für die Kontraktion wichtiger Proteine [8]. Aufgrund dessen ist dann die Antwort auf den natürlichen Reiz deutlich erhöht, beim Herzen entspricht dies einer positiven Inotropie (ohne positive Chronotropie). Übertragen auf die Magenwand heißt das, das der natürliche Reiz, der durch die Nahrungsaufnahme auf die Magenwand entsteht, dann verstärkt z. B. auf die afferenten Fasern des autonomen Nervensystems weitergeleitet wird und damit wahrscheinlich das Sättigungsgefühl gestärkt wird [9]. Zudem wird aber auch die Passagezeit der Nahrung über den proximalen Dünndarm beschleunigt. Das Tantalus-System wird minimalinvasiv eingesetzt und die Elektroden werden an der hinteren Magenwand sowie am Magenausgang platziert [7]. Es wurden bisher in verschiedenen Studien fast 70 Patienten mit Übergewicht und Diabetes mellitus behandelt, die längste Therapiedauer über 24 Monate. Die ersten Analysen zeigen eine Gewichtsreduktion im mittel 3–5 kg und eine HbA1c-Senkung um 1 %, die allerdings ebenfalls nicht allein durch die Gewichtsreduktion zu erklären ist [10]. Es interessant anzumerken, dass erste Daten darauf hinweisen, dass auch der Blutdruck deutlich gesenkt werden kann und Analysen zu den Plasmalipiden- und Lipoproteinen werden durchgeführt. Dies lässt auch Verbindungen zum Parasympathikus und ggf. Regulation des Leberstoffwechsels vermuten. Derzeitige Studien zur Evaluierung der Insulinsensitivität, der Beeinflussung der gastrointestinalen Hormone bzw. Inkretine sowie die Effekte im Cross-over-Design laufen. Vielleicht wird hier eine neue Tür in der Diabetestherapie aufgestoßen. 

Literatur bei den Verfassern.

Anmerkung

Der Artikel wurde geändert gemäß folgendem Erratum vom 30.04.2010:

Erratum zu Diabetologie und Stoffwechsel 2010, 5(2): 95-96

In der Online-Version ist auf der Inhaltsseite des Heftes und in der HTML-Datei des Beitrags einer der Autorennamen falsch.Er lautet richtig: D. Müller-Wieland

Prof. Dr. med. Dirk Müller-Wieland

Asklepios Kliniken St. Georg · Abt. für Innere Medizin I

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