Fortschr Neurol Psychiatr 2010; 78(8): 481-482
DOI: 10.1055/s-0029-1245401
Nachruf

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nachruf auf Professor Dr. med. Franz Müller-Spahn

Obituary to Professor Dr. med. Franz Müller-SpahnH. Hippius1 , E. Rüther2
  • 1Psychiatrische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München
  • 2Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Georg-August-Universität Göttingen
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Publication History

Publication Date:
06 August 2010 (online)

Am 18. August 2010 hätte Professor Dr. med. Franz Müller-Spahn als Inhaber des Lehrstuhls für Psychiatrie der Medizinischen Fakultät der Universität Basel und Direktor der „Friedmatt” seinen 60. Geburtstag gefeiert. Das wäre für uns ein willkommener Anlass gewesen, ihn als Arzt und Wissenschaftler, als Kollegen und Freund zu würdigen. Das ist uns nun verwehrt: Franz Müller-Spahn ist am 4. August 2009 in Basel gestorben.

15 Jahre seines beruflichen Lebens (1979 – 1994), die Hälfte der Zeit seines Wirkens als Psychiater, verbrachte Franz Müller-Spahn letztlich in München; während dieser Zeit wechselte er von 1989 – 1991 an die Universität Göttingen. Wir kannten ihn also von Beginn seiner psychiatrischen Ausbildung an – als jungen Assistenten, als wissenschaftlich hoch motivierten Mitarbeiter, später als Oberarzt und Abteilungsleiter. In dieser Zeit entwickelte sich eine weit über das Fachliche hinausgehende Freundschaft.

Die engen kollegialen, fachlichen und freundschaftlichen Beziehungen bestanden unverändert fort, auch nachdem Franz Müller-Spahn München 1994 verlassen hatte, um in der Nachfolge von P. Kielholz und W. Poeldinger den Baseler Ordentlichen Lehrstuhl für Psychiatrie zu übernehmen.

Franz Müller-Spahn verstand es sehr schnell, die Baseler Klinik in der klinischen und wissenschaftlichen Ausrichtung zu prägen, deren nationale Position in der Schweiz und im internationalen Rahmen zu festigen und voranzubringen. Davon zeugen die eindrucksvollen Nachrufe und Gedenkreden auf ihn (z. B. von Volker Dittmann, seinem Baseler Kollegen, und von Christoph Hock, den er 1994 aus München zu sich nach Basel geholt hatte). In den 15 Jahren seines Wirkens in Basel gelang es Müller-Spahn in bemerkenswerter Weise, schwierige organisatorische Aufgaben für die Klinik, für die Forschungsförderung, für die Stellung des Faches Psychiatrie in der Fakultät zu lösen.

Alles das haben wir von München und von Göttingen aus mitverfolgt und miterlebt.

Wir wussten im letzten Jahr seines Lebens um seine schwere Krankheit und bewunderten seine Kraft und seinen bis zuletzt ungebrochenen Mut, die Krankheit zu besiegen. Nun trauern wir um einen Menschen, mit dem wir in der Hälfte seines zu kurzen Lebens eng verbunden gewesen waren.

Franz Müller-Spahn wurde am 18. August 1950 in München geboren. Er verbrachte seine gesamte Schulzeit an bayerischen Schulen und Internaten. Nach dem Abitur studierte er anfangs Biologie, um dann an den beiden Münchener Universitäten (LMU und TU) Medizin zu studieren. So war er von Geburt an Bayer und blieb dies auch in seiner Mentalität und in seiner geradlinigen Direktheit und Offenheit (auch gegenüber Vorgesetzten!) sein Leben lang. Sein beneidenswertes kommunikatives Verhalten, seine beachtliche Eloquenz, sein Durchsetzungsvermögen und seine geistreiche und humorvolle Schlagfertigkeit befähigten ihn – weltoffen, aber im besten Sinne konservativ – alles zu erreichen, was er für seine Arbeit als Arzt und Wissenschaftler für wichtig erachtete.

Er trat 1979 in die Münchener Klinik ein, nachdem er seinen Zivildienst abgeleistet und sich dann freiwillig für den Sanitätsdienst in der Bundeswehr gemeldet hatte. Für seine Weiterbildung zum „Nervenarzt” wurde er an die Münchener Klinik abkommandiert; bald konnte er an der Klinik eine Assistentenstelle übernehmen und schied aus der Bundeswehr aus.

Er verstand es von vornherein, souverän und dabei in großer kollegialer Harmonie sich in einer – seiner Ansicht nach – zu sehr von aufstrebenden „Nordlichtern” dominierten Klinik Gehör und Gewicht zu verschaffen. Schon dieser Anfang war geprägt von Kraft und Durchsetzungsfähigkeit, gepaart mit nie versiegender guter Laune und charmanter Liebenswürdigkeit: ein junger Kollege, der umtriebig sich durchsetzt, für jeden hilfreich sofort einspringt, vielseitig interessiert und gebildet philosophiert und die Patienten mit unnachahmlicher Durchsicht exploriert, sodass ihm deren Sorgen nur so zufliegen.

Mit seiner Doktorarbeit bei Norbert Matussek über die „Beziehungen zwischen biochemischen und physiologischen Messgrößen unter experimentellem Stress” (1980) wurde er von Beginn an ein für die Biologische Psychiatrie engagierter Wissenschaftler. Bei seiner Arbeit an der Klinik gelang ihm aber auch eine sehr gute Balance zwischen klinischer Arbeit mit den Patienten und der Forschung. So war er von vornherein bei den Patienten der Klinik und dem Pflegepersonal besonders beliebt und geachtet.

Sein Ziel war es „Allround-Psychiater” zu werden – so durchlief er neben seiner Ausbildung für Psychiatrie und Neurologie Zusatzausbildungen für Psychotherapie und konnte schon 1987 die Funktion eines Oberarztes übernehmen. Er verstand es sehr gut, neben der vollen Beanspruchung durch die klinische Arbeit immer auch wissenschaftlich erfolgreich zu arbeiten. Dabei kamen ihm seine beneidenswerten kommunikativen Fähigkeiten zugute: Es gab in den 80er-Jahren an der Münchener Klinik kaum einen wissenschaftlich arbeitenden Mitarbeiter, der nicht mit Franz Müller-Spahn zusammengearbeitet hat oder von ihm für die Forschung motiviert worden war. Er war ein zuverlässiges Bindeglied zwischen den Wissenschaftlern der biochemisch-neurochemischen Abteilung (insbesondere Norbert Matussek und Manfred Ackenheil), der Abteilung für experimentelle Psychologie (Rolf Engel) und vielen der neben ihm oder ihm vorgesetzten klinisch tätigen Oberärzten und Ärzten.

1989 habilitierte sich Franz Müller-Spahn mit einer Arbeit über „Neuroendokrinologische Untersuchungen zur Stimulation dopaminerger und alpha-adrenerger Rezeptoren bei schizophrenen Patienten”.

Bereits 1989 wurde er auf eine C 3-Professur für Gerontopsychiatrie an die Universität Göttingen berufen. In kürzester Zeit erschloss er hier ein neues wissenschaftliches Gebiet und versorgungstechnisches Neuland. Darauf aufbauend konnte die Gerontopsychiatrie in Göttingen zum Nucleus einer Wissenschaft werden, die entscheidende Impulse für die Erforschung neurodegenerativer Störungen und die Versorgung von Patienten mit derartigen Störungen gab.

Als C 3-Professor und Leitender Oberarzt kehrte er 1991 an die Münchener Klinik zurück und setzte dort die in Göttingen begonnene Arbeit auf dem Gebiet der Gerontopsychiatrie fort; er organisierte und leitete eine für ihn eingerichtete Alzheimer-Forschungsstation. Damit rundete er das Spektrum seiner bisherigen Forschungsschwerpunkte (Ätiopathogenese und Therapie schizophrener und depressiver Störungen; Stress und psychische Erkrankungen) ab. So war er gut gerüstet, als er 1994 die Leitung der großen Baseler Klinik übernahm. Auch wenn seine eigenen Schwerpunkte in der gesamten Zeit seines Wirkens die Biologische Psychiatrie und die klinische Psychopharmakologie waren – es gelang ihm meisterhaft, Psychiatrie als integratives Fach zu vertreten, in dem neben dem neurobiologischen Fundament auch psychologische, soziale und philosophische Aspekte zum Tragen kommen müssen. In Basel griff er mit seinen Mitarbeitern – über die zentralen Themen hinaus – auch weitere Probleme auf: z. B. Fahrtauglichkeit unter Einwirkung von Psychopharmaka, allgemeine Probleme süchtigen Verhaltens (insbesondere die Spielsucht). In der Zusammenarbeit mit Informatikspezialisten in Deutschland und in der Schweiz bemühte er sich um erste Anwendungen von computergesteuerten Umgebungen (Virtual reality) in der psychiatrischen Diagnostik und Therapie.

Für ihn als Arzt stand immer der Patient in seiner Individualität im Mittelpunkt. Diese Grundeinstellung führte dazu, dass er mit seinen Mitarbeitern wissenschaftlichen Forscherdrang auch hintanstellen konnte, wenn dies von Patienten gewünscht wurde.

Der oft in die Psychiatrie projizierte Gegensatz zwischen „Biologie” und „Seele” war für ihn ein Unding. Mit der von ihm an der Baseler Klinik vertretenen klinischen Psychiatrie gelang es ihm, unnötige, zu weit gehende Subspezialisierungen zu verhindern. Alle Zweige der universitären Psychiatrie, von der Psychotherapie über die Forensische Psychiatrie bis hin zur Kinder- und Jugendpsychiatrie, wurden unter Wahrung ihrer Eigenständigkeit in einem „Department Psychiatrie” integrativ zusammengeführt.

2002 wurde Franz Müller-Spahn in den nationalen Forschungsrat des Schweizerischen Nationalfonds berufen. Er blieb auch als Berater für viele Forschungsprojekte in der Bundesrepublik aktiv (u. a. für das Kompetenznetz Demenzen). Ein besonderes Anliegen war für Müller-Spahn die Förderung des Nachwuchses – auf praktisch-klinischem Gebiet und in der Forschung. Für die Forschungsförderung an der Baseler Klinik warb er hohe Millionenbeträge ein. Er war als Wissenschaftsmanager und Organisator sehr erfolgreich und zielstrebig. Seinen Mitarbeitern und seinen Studenten kam – schon in München, dann vor allem aber in Basel – sehr zustatten, dass er über große didaktische Fähigkeiten verfügte. Seine Vorlesungen waren besonders beliebt – man hatte als Älterer Mühe, im Hörsaal mit ihm wenigstens einigermaßen Schritt zu halten! In Basel wurde er von den Medizin-Studenten mehrfach zum besten Dozenten gewählt.

Um sein Wissen an einen möglichst großen Kreis weiterzugeben, gab er – zusammen mit W. Gaebel – 2002 ein großes „Handbuch der Diagnostik und Therapie psychischer Störungen” heraus. Im letzten Jahr seines Lebens arbeitete er (zusammen mit J. Margraf) trotz seiner Krankheit mit ungebrochener Schaffenskraft an der Herausgabe eines großen Fach-Lexikons. Es gelang ihm, diese Arbeit zu Ende zu führen: der „Pschyrembel – Psychiatrie, Klinische Psychologie, Psychotherapie” erschien wenige Wochen nach seinem Tod.

Wir haben mit Franz Müller-Spahn einen Fixpunkt in unserem beruflichen und persönlichen Leben, einen Unterstützer, Tröster, einen Orientierungspunkt und Gesprächspartner verloren, der uns, wenn wir es wollen, auch noch weiter zuhört.

Wir danken ihm.

Prof. Dr. med.
Franz Müller-Spahn

Prof. Dr. med. Hanns Hippius

Psychiatrische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität

Nußbaumstraße 7

80336 München

Email: karin.koelbert@med.uni-muenchen.de

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