Fortschr Neurol Psychiatr 2010; 78(5): 255
DOI: 10.1055/s-0029-1245394
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Persönlichkeitsveränderung durch tiefe Hirnstimulation?

Personality Changes Due to Deep Brain Stimulation?J. Klosterkötter
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Publication Date:
26 April 2010 (online)

Kann das vor gut 20 Jahren eingeführte minimalinvasive funktionell-neurochirurgische Therapieverfahren der tiefen Hirnstimulation (THS) die Persönlichkeit der damit Behandelten verändern und ihnen hierdurch wohl möglich gar die Befähigung zur freien Selbstbestimmung entziehen? Diese Frage wird in dem Beitrag „Ethische Aspekte der tiefen Hirnstimulation in der Therapie psychiatrischer Erkrankungen” in diesem Heft aufgeworfen und im Stile einer wissenschaftsethischen Reflexion zu beantworten versucht [1].

Die Erprobung der THS als mögliche neue Therapieoption auch für schwere, chronifizierte, therapieresistente psychiatrische Erkrankungen ist ein sehr junges Forschungsgebiet und befindet sich derzeit noch auf einem Entwicklungsstand, der den frühen Bemühungen um die Evidenzbasierung des Verfahrens bei der Behandlung der Bewegungsstörungen entspricht. Dieses von seinen ersten Ergebnissen her vielversprechende und an Entdeckungen reiche Pionierstadium macht gerade den besonderen Reiz der sowohl grundlagenwissenschaftlich als auch klinisch hoch relevanten Forschungsrichtung aus und dürfte auch ihre hohe Resonanz in der interessierten Öffentlichkeit erklären. Kaum eine andere Entwicklung in der aktuellen Medizin wird so häufig und so beständig von Aufsehen erregenden Mitteilungen nicht nur in der Fachpresse, sondern auch in den Medien allgemein begleitet. Dass hierbei dann natürlich auch immer wieder die durch den Fortschritt der Hirnforschung provozierte Angst davor mit anklingt, man könnte durch solche steuernden Eingriffe in das „Organ der Seele” seine personale Identität und seine Autonomie verlieren, verwundert nicht.

Eine Schwierigkeit macht es bei solchen wissenschaftsethischen Betrachtungen immer wieder aus, dass zunächst die verschiedenen Begriffsebenen der philosophischen Anthropologie und der klinischen Neurowissenschaften einander angenähert werden müssen. So kennt man in Neurologie und Psychiatrie seit Langem organisch bedingte Persönlichkeitsveränderungen, die nach unterschiedlichen Hirnerkrankungen, Hirnschädigungen oder eben auch neurochirurgischen Operationen am Gehirn entstehen können. Sie zeichnen sich in erster Linie durch dauerhafte affektiv-emotionale Auffälligkeiten aus, gehen aber nicht selten auch mit einer tatsächlichen „Wesensänderung” im Sinne der Abschwächung oder der Zuspitzung von vor der jeweiligen Hirnschädigung typischen Persönlichkeitsmerkmalen einher. Das Ausmaß der hierdurch hervorgerufenen Beeinträchtigung kann für die Betroffenen, ihr familiäres und berufliches Umfeld ganz erheblich sein und beispielsweise auch Einwilligungs- oder Geschäftsfähigkeit aufheben, sodass man in solchen Fällen nicht zögern würde, auch in einem umfassenderen philosophisch-anthropologischen Sinne von einem Verlust der personalen Identität und der Befähigung zur freien Selbstbestimmung zu sprechen.

Schwere organische Persönlichkeitsveränderungen dieser Art gehörten zu den verheerendsten, uns heute warnend vor Augen stehenden Langzeitfolgen der Gewebszerstörung in Kauf nehmenden Psychochirurgie in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts [2]. Kein Psychiater, Neurologe oder Neurochirurg würde angesichts dieser Vergangenheit die THS als Therapieoption weiter verfolgen, wenn er solche Persönlichkeitsveränderungen nicht aufgrund der völlig neuartigen, keine Läsionen mehr hinterlassenden, minimalinvasiven Stimulationsmethodik für ausgeschlossen hielte. Weder die bisher beobachteten seltenen psychischen Nebenwirkungen bei der Behandlung des Morbus Parkinson [3] in den letzten 20 Jahren noch die diesbezüglich gemachten Erfahrungen bei den ersten Anwendungsversuchen auch auf psychiatrische Erkrankungen [4] bieten irgendeinen Anhaltspunkt dafür, dass auch die THS organische Persönlichkeitsveränderungen hervorrufen könnte. Gleichwohl ist es nur allzu berechtigt, diesen Gefahrenaspekt in die ethische Bewertung des Verfahrens mit einzubeziehen, zumal man seine Wirkmechanismen im Gehirn noch gar nicht genau kennt und die Langzeitbeobachtungen jedenfalls bei psychiatrischen Patienten für die Beurteilung möglicher späterer Persönlichkeitsveränderungen noch nicht ausreichend sind. Die Autoren verweisen zu Recht darauf, dass die Studien auf diesem Gebiet immer Tests zur Überprüfung der Persönlichkeitsentwicklung mit einschließen sollten und jede Intervention in einen umfassenden psychosozialen Behandlungsplan eingebettet sein muss.

Erfreulicherweise zeichnet sich inzwischen auch die nötige Annäherung der Begriffsebenen ab, wenn die ethische Forschung jetzt konkreter wird und wie im Kölner Zentrum für THS bei neuropsychiatrischen Erkrankungen selber mit empirischen Untersuchungen zur Erfassung der psychosozialen Auswirkungen auf die Betroffenen sowie ihr familiäres und berufliches Umfeld beginnt.

Die Literatur finden Sie unter

Prof. Dr. med. Joachim Klosterkötter

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität zu Köln

Kerpener Str. 62

50924 Köln

Email: joachim.klosterkoetter@uk-koeln.de

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