Dialyse aktuell 2009; 13(9): 463
DOI: 10.1055/s-0029-1243595
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Besonderheiten des Kindes mit chronischer Niereninsuffizienz

Dirk E. Müller–Wiefel
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Publication Date:
26 November 2009 (online)

Kinder mit chronischer Niereninsuffizienz sind neben den knapp 100 000 erwachsenen Patienten unter Nierenersatztherapie in Deutschland wahrlich Exoten: Sie machen mit einer relativ konstanten Prävalenz von zirka 1 000 nur ganze 1  % der Gesamtheit aus. Während die Inzidenz der terminalen Niereninsuffizienz bei Erwachsenen aufgrund von Diabetes mellitus und Bluthochdruck ständig wächst, ist die Häufigkeit bei Kindern mit etwa 1,5 Fällen/1 Million Einwohner/Jahr über die Zeit relativ konstant geblieben. Sage und schreibe nur 250 Kinder befinden sich hier in unserem Land unter Dialysetherapie, während der Anteil an transplantierten Kindern mit zirka 750 Patienten 3–mal so groß ist. Die Peritonealdialyse kommt genauso häufig wie die Hämodialyse im pädiatrischen Bereich zur Anwendung. Hierbei ist die Domäne der Peritonealdialyse das Kleinkindalter, während die Hämodialyse bei Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren die favorisierte Dialysemethode ist.

Die zugrundeliegenden Erkrankungen sind vielfach angeboren, haben oft eine genetisch determinierte Ursache, sind darüber hinaus sehr vielfältig und erfordern eine zum Teil hoch spezialisierte Therapie. Sie können dem internistischen Nephrologen schon aufgrund der Seltenheit kaum vertraut sein und verlangen vor allem beim Transit von der Kinder– in die Erwachsenenmedizin nach intensivierten Kooperations– und Weiterbildungsprogrammen.

Im Gegensatz zum niereninsuffizienten Erwachsenen entwickelt sich das Kind noch körperlich. Daher hat der pädiatrische Patient durch Längenwachstum, Knochenstoffwechsel, Zusammensetzung der Körpersubstanzen, Hormonhaushalt und Pubertät eine Sonderstellung. Neben diesen somatischen Besonderheiten muss auch der speziellen altersbedingten psychointellektuellen Entwicklung Rechnung getragen werden. Je nach Alter können Angst, gestörter Sozialkontakt, Schulproblematik, Identifikationsbestrebung und Berufsausbildung eine Rolle spielen.

Die somatischen und psychosozialen Besonderheiten verlangen eine multilaterale Betreuung durch ein kompetentes ärztliches, pflegerisches und psychosoziales Team. Hierzu zählen neben den mittlerweile von den Landesärztekammern anerkannten Kindernephrologen die Kinderkranken– bzw. Dialyseschwestern, die Diätassistenten, die Sozialarbeiter, die Psychologen und die Erzieher.

Neben diesem Kernteam muss eine multidisziplinäre Diagnostik und Therapie in einem ausgewiesenen Kindernephrologiezentrum möglich sein, unter Einbezug von Kinderradiologie, Kinderkardiologie, Kinderurologie, Kinderneurologie und vielen anderen mehr. Aber auch die technische und apparative Ausrüstung muss den pädiatrischen Bedürfnissen Genüge tun. Die Gesellschaft für Pädiatrische Nephrologie hat jetzt eine aktuelle Liste von Kinderdialysezentren zusammengestellt, die diesen Anforderungen entsprechen (www.gp-nephrologie.de, Stichwort: Behandlungen).

Die Anzahl dieser Zentren ist mit 16 begrenzt, entspricht in etwa aber den Bedürfnissen. Allerdings ist eine Expansion durch hiermit verbundene reduzierte Patientenzahlen pro Zentrum nicht damit kompatibel, eine Betreuungsexpertise aufrechtzuerhalten. Weder in einer personell bzw. apparativ ungenügend ausgestatteten Kinderklinik noch in einem Erwachsenendialysezentrum kann der pädiatrische Einzelpatient eine Betreuung erfahren, auf die er nach dem heutigen medizinisch–technologischen kindernephrologischen Entwicklungsstand Anspruch hat. Um diesen zu erlangen, sind unter Umständen längere Wegstrecken zurückzulegen, die sich für den Patienten unter dem Strich aber mehr als lohnen.

Diese Ausgabe von Dialyse aktuell behandelt die Besonderheiten der Nierenersatztherapie im Kindesalter. Neben der Peritonealdialyse und der Nierentransplantation verweisen die Artikel auf die Sondersituation der angeborenen Niereninsuffizienz. Der Nierenersatz im Kindesalter wurde in den letzten beiden Jahrzehnten einem enormen zukunftsträchtigen Wandel unterworfen. Es gilt, diese Kenntnis im Nephrologiekreis zu verbreiten, damit dem niereninsuffizienten Kind die adäquate Betreuungsschiene nicht vorenthalten wird.

Prof. Dr. Dirk E. Müller–Wiefel

Hamburg

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