Hebamme 2009; 22(4): 208
DOI: 10.1055/s-0029-1243140
Editorial
© Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Geduld und Zeit – die besten Helfer des Geburtshelfers

Sabine Krauss-Lembcke
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Publication Date:
28 December 2009 (online)

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

im Hebammenlehrbuch von Pschyrembel, 3. Auflage 1953, fand ich ein Zitat von G. Mauquest de la Motte (1655–1737):

„Die schlechteste und falscheste Indikation zur künstlichen Geburtsbeendigung ist die Unfähigkeit des Geburtshelfers, warten zu können. Die besten Helfer des Geburtshelfers sind die Geduld und die Zeit.”

Diese 300 Jahre alte Aussage ist meiner Meinung nach ­immer noch unverändert gültig. Dabei sind Geduld haben und Zeit lassen natürlich Eigenschaften, die der heutigen Gesellschaft besonders schwer fallen. Ich beobachte immer häufiger eine neue Indikation zur Geburtsbeendigung, die man das „Schwangerschaft-Überdrüssigkeits-Phäno­men” nennen könnte. Die schwangeren Frauen haben genug von der Schwangerschaft und wollen sie beenden.

Hebammen klagen dann darüber, dass Geburtseinleitungsversuche dazu führen, dass die Frauen oft tagelang im Kreißsaal verweilen. Die Frustration wächst bei Frauen und Hebammen gleichermaßen. Die Sectio-Raten steigen und es scheint, als ob niemand in der Lage sei, diese Entwicklungen aufzuhalten.

Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch echte Indikationen für eine Einleitung der Geburt. Um die Fachdiskussion über den Sinn und Nichtsinn von Einleitungen anzuregen, haben wir Frau Professor Hösli aus dem Universitätsspital Basel um eine Übersicht über die derzeit praktizierten Einleitungsmethoden gebeten. Die Autorengruppe aus Basel untersucht, welche Evidenzen vorliegen und gibt Empfehlungen für den Einsatz der einzelnen Methoden. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass nur der gezielte und durchdachte Einsatz der verschiedenen Einleitungsmethoden die Chance erhöht, den gewünschten Geburtsprozess auszu­lösen.

Sie, liebe Kolleginnen, möchte ich motivieren, diese Ergebnisse in Ihren Teams zu diskutieren und neue ­Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen. Zwar gibt es immer noch eine Menge Forschungsbedarf, aber ein Anfang ist immerhin ­gemacht und die Praxis kann schon jetzt davon profitieren. Auch dies kann ein kleiner Schritt hin zu einer ­frauen-, kinder- und menschenfreundlicheren Geburts­hilfe sein.

Die Zunahme von Risikoschwangerschaften durch Diabetes, das Alter der Frauen und die sozialen Belastungen stellt eine Herausforderung für alle Geburtshelferinnen und -helfer dar. Katja Stahl interpretiert die Ergebnisse der großen HAPO-Studie zum Gestationsdiabetes und analysiert, worauf sie uns Antworten gibt und welche Fragen dabei ­offen geblieben sind. Die praktischen Konsequenzen für die Hebammenarbeit liefert ein weiterer Artikel zur Ernährungsberatung bei Gestationsdiabetes, der von einer Ernährungsfachberaterin und einer Hebamme gemeinsam verfasst wurde.

Der Beitrag „Schwierige Gesprächssituationen bewältigen” schließt unsere Jahres-Reihe Basiswissen Beratungskompetenz ab. Ihr Ziel war es, Ihr Interesse an einem zusätz­lichen, wichtigen Handwerkszeug für die Hebammenarbeit zu wecken. Die Fähigkeit zur professionellen Beratung gehört zu unseren Kernkompetenzen in allen Bereichen – von der Schwangerenbetreuung bis zur Beratung von jungen Familien.

So zeigen auch die Studien über die Wirkung und die Rahmenbedingungen der Familienhebammen, dass wir noch lange nicht am Ziel sind. Es gibt große Anforderungen an uns Geburtshelferinnen – stellen wir uns diesen Heraus­forderungen!

Wir wünschen Ihnen mit den vorliegenden Beiträgen ­Inspiration und neue Anregungen für Ihren Arbeitsalltag und die Chance, evidenz-basiertes Wissen in die Praxis umzusetzen. Gemeinsam können wir es vielleicht doch noch schaffen, die derzeitige Entwicklung hin zu einer noch stärker technisierten und medikalisierten Geburtshilfe aufzuhalten!

Herzliche Grüße

Sabine Krauss-Lembcke

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