DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2009; 7(04): 32-33
DOI: 10.1055/s-0029-1242527
Focus
Pro & Contra
Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Leben ist Bewegung

Birgit Gillemot
,
Peter Wührl
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
22. Oktober 2009 (online)

Pro

A. T. Still wird der Satz zugeschrieben, doch handelt es sich hier um eine stark vereinfachte Zusammenfassung seiner vielen Aussagen über den Zusammenhang von Leben, Materie, Bewegung und Verstand. Er definiert die Bewegung, im Original benutzt er das Wort Motion, als die Kraft, die reine Materie zu lebendiger Substanz macht. Motion, aber nur zusammen mit dem, was er als Mind bezeichnet, ist für ihn der einzige sichtbare Beweis für Leben, ja sogar die Manifestation des Göttlichen im Lebendigen. Während Still zwischen den Begriffen Motion und Action unterschied, lässt die deutsche Übersetzung mit dem Wort Bewegung eine solche Differenzierung nicht zu.

Tatsächlich legt er all seinen Lehren über die Untersuchung und Behandlung des menschlichen Körpers die Annahme zugrunde, dass es die Motion ist, die den Unterschied zwischen Krankheit und Gesundheit ausmacht. Den Tod beschreibt er als die Abwesenheit von Bewegung und Verstand, wie üblicherweise das Wort Mind übersetzt wird.

Still, der große Beobachter und geniale Vordenker, wusste schon zu seiner Zeit, dass die Bewegungen bis hinunter auf Zellebene den Stoffwechsel begleiten und alle Funktionen des Körpers erst ermöglichen.

Bewegung ist mehr

Dass die Bewegung nicht nur im biologischen Sinne grundlegende Bedeutung für das Leben hat, erschließt sich auch aus den vielfältigen Verwendungen des Wortes. Es beschreibt neben physikalischen auch psychische und politische Zustände und wenn man bei Google den Begriff eingibt, erhält man mehr als 16 Millionen Treffer.

Es ist die Bewegung des Spermiums auf die Eizelle zu, die ihrerseits pulsierend Leben signalisiert und damit die Vereinigung und das Entstehen neuen Lebens ermöglicht. Und es ist das Versiegen von Hirnströmen, also das Erliegen von zellulärem Austausch, das das Ende eines Lebens markiert. Dazwischen ist es die ständige Bewegung jeder einzelnen Zelle, bis hin zu den großen Zellverbänden der Organe und der verschiedenen Strukturen, ebenso wie der Fluss von Körperflüssigkeiten und von dem, was wir als Energie bezeichnen, was uns am Leben erhält.

Dabei herrschen in fast allen Systemen rhythmische Bewegungen vor. Das Ausmaß von Rhythmus, Amplitude und Tempo entscheidet dabei über den Gesundheitszustand.

Überleben kann auf Dauer auch nur ein Körper, der durch zielgerichtete Bewegung seinen Nachschub an Luft, Wasser und Nahrung, sowie deren Entsorgung gewährleisten kann. Zwar ist es möglich mithilfe von körpereigenen Mechanismen oder moderner Medizin einige Defekte dieser Bewegungen zu kompensieren, ein Fehlen führt jedoch unweigerlich zum Tod.

Die Strapazen der Geburt und die damit verbundenen Deformierungen seiner Körperstrukturen reguliert der Säugling durch Schreien und Strampelbewegungen, die wir uns auch während der Behandlung zunutze machen. Ein ganzes Leben lang brauchen wir die Bewegung des Körpers, um unsere biologischen Funktionen aufrechtzuerhalten und zu harmonisieren. Und mithilfe von ritualisierten Bewegungen, in Form von kontrollierter Atmung oder Tanz, können wir unsere Bewusstseinszustände verändern.

Doch Bewegung setzt Beweglichkeit voraus. Das gilt sowohl für unseren therapeutischen Ansatz, ganz im Sinne von Still, als auch als grundsätzliches Theorem für die Bewegung im Allgemeinen.

Beweglichkeit und Bewegung bedingen sich also gegenseitig und das ist durchaus auch philosophisch zu verstehen.


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Bewegung und Beweglichkeit

Der Mangel an Bewegung, der heute in unseren Industriegesellschaften vorherrscht, hat als Gegenbewegung (!) einen Bewegungskult hervorgebracht, der den natürlichen Bewegungsdrang pervertiert.

Die steigende Zahl der Sportverletzungen konterkariert allerdings den löblichen Versuch die Beweglichkeit – oder meint man gar das Leben? – durch Bewegung zu erhalten, oder zu verbessern.

Man kann also auch hier frei nach Still behaupten, dass Bewegung nur zusammen mit, nun ja, Verstand dem Leben dient.

So wie irgendwann alles Leben entstanden ist, weil ein elektromagnetischer Strom zu einer ersten amöboiden Zellbewegung geführt hat und so wie ein Säugling seinem Lebenswillen Ausdruck verleiht, indem er schreit und strampelt, so wie Bewegung unser Überleben sichert und Fortschritt bringt, so wie in allen Kulturen ritualisierte Bewegungen körperliche und spirituelle Ebenen unseres Seins vereinen, so führt die Abwesenheit von Bewegung und Beweglichkeit erst zum Stillstand und dann zum Tod.

Mein persönliches Fazit lautet deshalb: Bewegung ist Leben, Leben ist Bewegung und „Rhythm is it”.

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Abb. 1

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