Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2009; 16(3): 116
DOI: 10.1055/s-0029-1241112
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Neue Erkenntnisse zur Funktion unserer inneren Uhr - Melanopsinhaltige Rezeptoren in der Retina modulieren den Schlaf

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Publication Date:
25 September 2009 (online)

 

Tsai JW, Hannibal J, Hagiwara G et al. Melanopsin as a sleep modulator: circadian gating of the direct effects of light on sleep and altered sleep homeostasis in Opn4-/-mice. PLoS Biol 2009; 7: e1000125

Thema: Vor wenigen Jahren wurde eine neue Gruppe von Ganglienzellen im Auge entdeckt, die zur Weiterleitung der Lichtinformation ein bis dahin unbekanntes Photopigment benutzen, das Melanopsin. Diese Rezeptoren sind direkt photosensitiv und nicht am Sehvorgang beteiligt. Sie projizieren primär über den retinohypothalamischen Trakt zur inneren Uhr des Menschen, dem Nucleus suprachiasmaticus, aber auch zu anderen Strukturen des Hypothalamus und Thalamus, unter anderem zum ventrolateralen Nucleus präopticus (VLPO), der eine wichtige Rolle in der Schlaf-Wach-Regulation spielt.

Wie nun herausgefunden wurde, wird das Melanopsin benötigt, um eine ausreichende Schlafdauer und eine gute Schlafqualität zu gewährleisten. Außerdem zeigt sich ohne Melanopsin der natürliche Schlafimpuls durch Licht gestört. Diese Erkenntnisse können Ausgangspunkt sein für neue Ansätze in der Lichttherapie, in der Therapie zirkadianer Störungen sowie für klinische und arbeitsmedizinische Fragestellungen.

Projekt: Die Vermittlung der Lichtinformation mithilfe von Melanopsin und sein Einfluss auf den zirkadianen Rhythmus des Menschen sind inzwischen gut belegt. Zusätzlich zur zirkadianen Wirkung gibt es jedoch auch eine direkte Lichtwirkung, die Rolle des Melanopsins in diesem Kontext ist noch weitgehend unbekannt.

Tsai et al. untersuchten an Melanopsin-knock-out-Mäusen die direkte Wirkung von Licht auf den Schlaf, die Wachheit und auf die Frequenzspektra im Elektrokortikogramm im Vergleich zu Kontrollmäusen. Die Kontrollmäuse und die Knock-out-Mäuse wurden 4 Untersuchungsbedingungen ausgesetzt. Zum einen wurden sie unter Standardbedingungen beobachtet in 12-stündiger Helligkeit und 12-stündiger Dunkelheit, zum anderen erfolgte 3 Stunden nach Beginn der Dunkelphase eine 1-stündige Lichtexposition bzw. 3 Stunden nach Beginn der Hellphase eine 1-stündige Dunkelexposition, und während 24 Stunden wurden die Mäuse alternierend je 1-stündigen Hell- und Dunkelphasen ausgesetzt.

Ergebnisse: Im Gegensatz zum Wildtyp wird bei Melanopsin-knock-out-Mäusen durch Lichtexposition in der Dunkelphase Schlaf nicht induziert. Die vorliegende Studie konnte dies bestätigen und legt nahe, dass Melanopsin zu dieser Tageszeit für die direkte Lichtwirkung auf den Schlaf notwendig ist. Durch Dunkelexposition in der Hellphase war das Erwachen der Knock-out-Mäuse zwar verzögert, aber vorhanden.

Die im Stundentakt wechselnden Licht-Dunkelexpositionen wiesen nach, dass Melanopsin-knock-out-Mäuse ausschließlich während ihrer gewohnten Aktivitätszeit (Dunkelphase) eine verringerte Antwort auf Licht zeigen, nicht jedoch während ihrer gewohnten Schlafzeit (Hellphase). Während dieser Experimente war noch eine weitere, sehr interessante Veränderung im Verhalten der Melanopsin-knock-out-Mäuse zu beobachten. Sie schliefen im Vergleich zu den Kontrollmäusen 1 Stunde weniger pro Tag, und ihre Theta- und Gamma-Power, ein Maß für Wachheit und Aktivität, waren erhöht. Dies führt normalerweise zu einem erhöhten Schlafdruck, sichtbar in einer Zunahme der Delta-Power.

Die Melanopsin-knock-out-Mäuse zeigten jedoch eine geringere Delta-Power als die Kontrollmäuse, auch wenn versucht wurde, den Schlafdruck durch Schlafentzug gezielt zu erhöhen.

Fazit: Direkte Lichtwirkungen scheinen gemeinsam von melanopsinhaltigen retinalen Ganglienzellen und von Stäbchen/Zapfen vermittelt zu werden. Die Sensitivität Letzterer für Licht schwankt tageszeitabhängig, was Melanopsin auszugleichen scheint. Auch beim Menschen wird eine direkte Lichtwirkung vermittelt durch Melanopsin vermutet. Melanopsin zeigt das Maximum der spektralen Empfindlichkeit im Blaubereich (ca. 480 nm) und unterscheidet sich hiermit von dem der Stäbchen/Zapfen. Die größte Sensitivität des menschlichen Schlaf-Wach-Systems auf Licht zeigt sich ebenfalls in diesem Bereich.

Unerwartet sind die Ergebnisse zur Rolle des Melanopsins in der Schlafregulation. Unabhängig von der Tageszeit und von den Lichtverhältnissen zeigen sich bei Fehlen des Melanopsins zum einen eine verminderte Schlafdauer und Schlafqualität, zum anderen eine verminderte Kompensationsfähigkeit von Schlafmangel, beides verursacht durch das Unvermögen, einen adäquaten Schlafdruck aufzubauen. Sowohl die akute, lichtinduzierte Schlafförderung als auch die Beeinflussung der Schlafregulation ist dabei zumindest zum Teil auf die schlafaktivierenden Neurone im VLPO zurückzuführen. Immunhistochemische Experimente weisen darauf hin, dass Melanopsin notwendig ist, um deren Aktivität zu modulieren.

Dr. Eva-Maria Elmenhorst und Prof. Rupert Gerzer, Köln

Literatur

  • 01 Lockley SW . Evans EE . Scheer FA . et al . Short-wavelength sensitivity for the direct effects of light on alertness, vigilance, and the waking electroencephalogram in humans.  Sleep. 2006;  29 161-168
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