Hebamme 2009; 22(3): 140
DOI: 10.1055/s-0029-1239951
Editorial
© Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Eigentlich sollten wir Geburtszeitraum sagen

Franz Kainer
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Publication Date:
18 September 2009 (online)

Liebe Leserinnen,

Der errechnete Geburtstermin ist aus vielen Gründen für die Schwangere und das betreuende Team von großer Bedeutung. Es wird der Zeitraum des Mutterschutzes danach festgelegt, die Häufigkeit von Vorsorgeuntersuchungen ­orientiert sich am errechneten Geburtstermin und viele Schwangere hoffen, dass das Kind vielleicht auch zu diesem Zeitpunkt geboren wird.

Diese Hoffnung wird sich jedoch in weit über 90 % der Fälle nicht erfüllen. Nur 3 bis 4 % der Kinder werden am errechneten Termin geboren. Und fällt der errechnete Termin auf den 24. Dezember, dann kann man mit großer Zuverlässigkeit davon ausgehen, dass es an diesem Tag nicht zur Geburt kommen wird.

Der errechnete Geburtstermin ist also der Tag, an dem das Kind sehr wahrscheinlich nicht geboren wird.

Es würde daher viel mehr Sinn machen, anstelle des errechneten Entbindungstags einen Geburtszeitraum anzugeben. Der Begriff „Entbindungstermin” ist jedoch so fest in die geburtshilfliche Routine integriert, dass keine Änderung der Terminologie in Sicht ist.

Viele Schwangere machen sich Sorgen um das Kind, wenn der errechnete Geburtstermin überschritten wird. Zu häufige CTG-Kontrollen und Ultraschalluntersuchungen durch Hebammen und Ärzte führen nicht immer zur Beruhigung der Frau, sondern verstärken in ihr das Gefühl, dass „etwas” nicht in Ordnung sein kann, wenn so häufig kontrolliert werden muss.

Da bei etwa einem Drittel aller Schwangerschaften mit ­einer Terminüberschreitung gerechnet werden muss, ist die Terminüberschreitung ein sehr häufiges praktisches Problem. Ein ausgewogenes Vorgehen, keine unnötige Verunsicherung, aber die rechtzeitige Geburt, wenn Risiken für die Mutter oder das ungeborene Kind vorliegen, sind daher wichtige Forderungen einer zeitgemäßen Geburtshilfe.

In diesem Heft beschäftigen wir uns ausführlich mit den praktisch wichtigen Fragen, die sich uns im Zusammenhang mit einer Terminüberschreitung stellen, angefangen von der korrekten Differenzierung zwischen einer Terminüberschreitung und einer Übertragung bis zum Erkennen und Vorsorgen eines übertragenen Neugeborenen.

Prof. Dr. Daniel Surbek gibt uns eine Vorausschau auf die neuen Leitlinien zur Terminüberschreitung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, die momentan noch in Arbeit sind.

Freuen Sie sich auch auf den spannenden Beitrag von Frau Dr. Christine Loytved und Mitarbeiterinnen, die die Frage untersuchen, ob Franz Carl Naegele (1779–1851) die nach ihm benannte Regel tatsächlich erfunden und so gemeint hat.

Mit diesen Beiträgen wollen wir Sie erneut für das Thema sensibilisieren und Sie anregen, das eigene Vorgehen am errechneten Geburtstermin kritisch zu hinterfragen und die für Mutter und Kind optimale Lösung zu finden.

Dazu gehört auch das Fallbeispiel von Sabine Krauss-Lembcke über eine Geburtseinleitung bei Zustand nach Sectio in unserer Reihe „Aus Fehlern lernen”.

Ein weiteres, wichtiges praktisches Thema in dieser ­Aus­gabe ist die Nabelpflege. Dazu finden Sie den aktuellen Wissensstand und auch eine neue klinische Studie.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen und Diskutieren der Beiträge!

Mit vielen Grüßen

Ihr
Prof. Dr. Franz Kainer

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