Zeitschrift für Phytotherapie 2009; 30 - V38
DOI: 10.1055/s-0029-1239881

Neubewertung der Rolle von Antioxidanzien bei kardiovaskulären Erkrankungen

G Ulrich-Merzenich 1, H Zeitler 2, D Panek 1, K Kraft 3
  • 1Medizinische Poliklinik, Universität Bonn, Wilhelmstr. 35–37, 53111 Bonn
  • 2Medizinische Klinik und Poliklinik I, Universität Bonn, Sigmund-Freud-Str. 5, 53115 Bonn
  • 3Klinik und Poliklinik für Innere Medizin, Universität Rostock, Ernst-Heydemann-Str. 6, 18057 Rostock

Eine essenzielle Aufgabe der Antioxidanzien ist der Erhalt der Redox-Homöostase. Reaktive Sauerstoffspezies (ROS), die bei erhöhtem oxidativem Stress gebildet werden, können die Zelle vielfach schädigen und z.B. den Prozess der Atherosklerose in Gefäßen und damit die Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen (KHK) fördern. Jüngste Forschungsergebnisse bringen jedoch die ROS mit der Zellproliferation und dem Überleben von Zellen in Verbindung, was zu einem Paradigmenwechsel des alten „Dogmas“– dass ROS ausschließlich die Zellen schädigen – geführt hat. Geringe Konzentrationen von Hydrogenperoxid, aber auch von Vitamin C oder Polyphenolen sind in der Lage, zelluläre Signalkaskaden wie die Mitogen aktivierenden Kinasen (MAP-Kinasen) zu aktivieren. Vitamin C kann z.B. das Wachstum von Gefäßendothelzellen fördern und gleichzeitig die Proliferation der Gefäßmuskelzellen supprimieren. Die Modulation der Endothelzellproliferation erfolgt über eine Aktivierung der MAP-Kinasen ERK1/2 sowie ERK5 und ist dabei offensichtlich unabhängig von einer antioxidativen Wirkung.

Neuerdings wird eine Modulation der MAP-Kinasen als Therapiestrategie für die KHK vorgeschlagen. Eine über die antioxidative Wirkung hinausgehende vasoprotektive Wirkung verschiedener Antioxidanzien ist auf der Basis von In-vitro-Daten zu erwarten. Demgegenüber stehen widersprüchliche Ergebnisse klinischer Studien. Betrachtet man jedoch die Redox-Homöostase als komplexes Zusammenspiel zwischen Antioxidanzien und ROS, dessen Erhalt ebenso reguliert wird wie z.B. der pH-Wert, lässt sich folgern, dass im Gegensatz zu In-vitro-Studien Einzelsubstitutionen in vivo nicht notwendigerweise den Erhalt der optimalen Redox-Homöostase gewährleisten können.

Bisher gab es keine technischen Möglichkeiten, das komplexe Zusammenspiel von Antioxidanzien, die offensichtlich als Signalmoleküle auch „nicht antioxidative Eigenschaften“ besitzen, und den ROS, die neben einer Zellschädigung auch als „second messenger“ fungieren und dabei entscheidend in die Zellproliferation und Gewebsregeneration eingreifen, gleichzeitig zu erfassen. Die sich rapide entwickelnde Plattform der „omic„-Technologien könnte hier in Zukunft einen wichtigen Beitrag leisten, um den Anteil der oxidativen/antioxidativen Prozesse an der Pathogenese der Atherosklerose besser zu verstehen und darauf basierend individuell erfolgreiche Präventions- und Behandlungsstrategien für die KHK zu entwickeln.