Gesundheitswesen 2009; 71 - A192
DOI: 10.1055/s-0029-1239242

Wechselseitige Einflüsse von Stigmatisierung und Prävention am Beispiel der Adipositas

J Ried 1, A Hilbert 1
  • 1Fachbereich Evangelische Theologie, Philipps-Universität Marburg

Einleitung: Adipöse Menschen werden in verschiedenen Lebensbereichen, auch im Gesundheitswesen, mit stigmatisierenden Einstellungen konfrontiert. Die möglichen Auswirkungen der Stigmatisierung auf die Prävention wurden bislang allerdings kaum in den Blick genommen. Ziel dieses Vortrages ist es daher, die bislang bekannten medizinisch-psychologischen Negativeffekte der Stigmatisierung zu eruieren, die Verbreitung des Adipositasstigmas sowie seine Konsequenzen für die Prävention aufzuzeigen und daraus gesundheitspolitische und präventionsmedizinische Empfehlungen abzuleiten.

Material und Methoden: Review der relevanten Literatur zur Stigmatisierung der Adipositas, ihrer medizinisch-psychologischen Konsequenzen und zu möglichen negativen Seiteneffekten von Prävention, eigene empirische Studien zu Verbreitung stigmatisierender Einstellungen und eigene experimentelle Untersuchungen zur Destigmatisierung

Ergebnisse: Stigmatisierungserfahrungen können negative psychologische und physiologische Effekte generieren und sich u.a. auf die Inanspruchnahme von Leistungen des Gesundheitssystems durch adipöse Patienten auswirken. Stigmatisierende Einstellungen sind in der Bevölkerung recht weit verbreitet und haben u.a. Einfluss auf die Wahrnehmung der Adipositas als Gesundheitsproblem und auf die Unterstützung von Präventionsmaßnahmen. Kampagnen zur Prävention könnten indirekt zu stigmatisierenden Tendenzen beitragen, indem sie unbeabsichtigt Schlankheit als Ideal fördern.

Eigene empirische Studien zeigen, dass ein Verständnis der Adipositas als Krankheit und das Wissen um genetische bzw. biologische Faktoren mit geringerer Stigmatisierung assoziiert ist. Eigene experimentelle Untersuchungen mit einem computergestützten Programm zur Destigmatisierung erbrachten positive Effekte auf die expliziten stigmatisierenden Einstellungen.

Diskussion: Stigmatisierung ist ein gesundheitsrelevantes Problem, das sich negativ auf die Prävention auswirken kann und daher als Aktionsfeld präventiver Maßnahmen erschlossen werden sollte. Sinnvoll und erforderlich wären z.B. die Integration destigmatisierender Maßnahmen sowie Überlegungen zu unerwünschten Nebenfolgen von vorbeugenden Programmen. Das Verständnis der Adipositas als Krankheit ist ambivalent und trägt – entgegen der Auffassung des Europaparlamentes – nicht unbedingt zur Destigmatisierung bei. In der allgemeinen Öffentlichkeit und innerhalb des Gesundheitswesens könnte ein größeres Bewusstsein für das Problem der Stigmatisierung Hürden abbauen, die adipöse Menschen an der Umsetzung präventiver Maßnahmen hindern, und damit die Effektivität der Prävention verbessern.

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