Gesundheitswesen 2009; 71 - A134
DOI: 10.1055/s-0029-1239184

Vom Recht auf Gesundheit zur Pflicht zum gesunden Alter(n): Die Neukonzeption intergenerationeller Solidarität der deutschen Anti-Aging-Medizin

M Spindler 1
  • 1Graduiertenkolleg Bioethik, Interfakultäres Zentrum für Ethik in den Wissenschaften, Tübingen

Hintergrund: Anders als das Schlagwort „Anti-Aging“ suggeriert, bezeichnet es keine homogene „Anti-Aging-Bewegung“, sondern ein äußerst heterogenes Feld verschiedenster Methoden und Strategien der Gestaltung biologischer Alterungsprozesse, die in der Biogerontologie, der Medizin, den Medien oder auch im Marketing propagiert und praktiziert werden. Auch medizinische Anti-Aging-Programme weisen interessante konzeptuelle Unterschiede auf. So grenzt sich z.B. die German Society of Anti-Aging-Medicine bewusst von den viel gescholtenen US-amerikanischen Begründern der Anti-Aging-Medizin ab und möchte die Anti-Aging Medizin als eine seriöse, wissenschaftlich fundierte, individualisierte Präventionsmedizin neu begründen. So wurde ihr zu diesem Zweck ins Leben gerufene „Europäischen Präventionstags“ von Seiten der Gesundheitspolitik zunächst auch begrüßt.

Fragestellung: Ziel des soziologischen Promotionsprojekts ist die ethnographische Rekonstruktion der Anti-Aging-Medizin-Bewegung in Deutschland im Hinblick auf Zusammenhänge der zunehmenden Gestaltbarkeit biologischer Alterungsprozesse und der Individualisierung altersbezogener Gesundheitsrisiken. Eine Teilfrage des Forschungsprojekts, die im Mittelpunkt der Präsentation steht, ist, welche Konzepte für die gesellschaftliche Organisation des Umgangs mit alternden Menschen vorgeschlagen werden.

Methoden: Zur Beantwortung dieser und anderer Forschungsfragen wurden durch die teilnehmende Beobachtung von Anti-Aging Medizin Konferenzen in Deutschland (2005 bis 2008) umfangreiche ethnographische Daten erhoben, sowie 25 leitfadengestützte Interviews mit Anti-Aging Ärztinnen und Ärzten geführt. Das empirische Material wird derzeit der Methodologie der grounded theory folgend computergestützt ausgewertet.

Ergebnisse: Im Rahmen der Präsentation werden Ergebnisse erster Einzelfallauswertungen vorgestellt. Aus Publikationen der German Society of Anti-Aging-Medicine wird eine konzeptuelle Akzentverschiebung von der ‘Freiheit zur Verbesserung der mangelhaften Natur des Alterns’ hin zur ‘individuellen Verantwortung für altersgezogene Gesundheitsrisiken’ rekonstruiert. Der zur Rettung des ‘alternden’ Gesundheitssystems vorgeschlagene Neuentwurf intergenerationeller Solidatität wird beschrieben, der in einer Aufweichung des solidarischen Rechts auf Gesundheit und der Einforderung der individuellen Pflicht zur Gesundhaltung im Alter besteht.

Diskussion: Neben den sozialen und individuellen Implikationen dieses altersethischen und gesundheitspolitischen Vorschlags werden Probleme einer eindeutigen Grenzziehung zwischen sinnvoller Gesundheitsförderung im Alter und problematischem „Anti-Aging“ diskutiert.