Gesundheitswesen 2009; 71 - A126
DOI: 10.1055/s-0029-1239176

Gesundheitsziele in Zeiten von Dezentralisierung und Deregulierung: Raum für Aspekte der Chancengleichheit?

M Wismar 1
  • 1European Observatory on Health Systems and Policies, Brüssel

Hintergrund: Der Gesundheitszustand der Bevölkerungen Europas ist so gut wie nie zuvor. Damit dies so bleibt, muss die Leistung der Gesundheitssysteme kontinuierlich gesteigert werden. Denn neue gesundheitliche Herausforderungen und die zunehmende gesundheitliche Chancenungleichheit gefährden das Erreichte. Um Leistungssteigerung und -monitoring zu gewährleisten werden Gesundheitsziele eingesetzt. Sind sie erfolgreich und wen ja unter welchen Voraussetzungen?

Material und Methoden: Sieben Fallstudien wurden in Katalonien, England, Ungarn, Frankreich, Flandern, Deutschland und Russland durchgeführt. Die Gesundheitsziele bezogen sich auf Verhaltens- und Verhältnisprävention, sowie auf die Versorgung einschließlich Disease-Management-Programmen. Es wurden Gesundheitsziele zu einzelnen Themen und zu umfassende Public Health Politiken. Untersucht wurde die Einbettung in Politikformulierung, -umsetzung und Informationssysteme. Außerdem wurde die Attribuierbarkeit von Effekten untersucht.

Ergebnis: Die stärkste steuernde Wirkung entfalten Gesundheitsziele die in umfassende Anreiz-, Sanktion-, und Informationssysteme eingebettet sind.

Die englischen Versorgungsziele, der Französische Krebsplan und verschiedene DMPs belegen die Wirkung von Gesundheitszielen. Wesentlich sind lokale Anreiz- und Sanktionsmechanismen. Für die Systemsteuerung muss jedoch eine große Anzahl an lokalen Indikatoren definiert und mit Daten unterlegt werden. So lassen sich Leistungszuwächse abbilden und befördern. Allerdings ist diese System auch anfällig für Manipulationen. Außerdem werden Versorgungsbereiche, die nicht mit lokalen Indikatoren versehen sind, vernachlässigt. Da die Ziele auch Missstände transparent machen, setzt eine Politisierung des Instruments ein.

Die gesundheitliche Chancengleichheit ist meist weniger eindeutig implementiert. Es fehlt häufig an geeigneten Routinedaten zum Monitoring. Auch sind wirksame Interventionen zum Abbau von Chancenungleichheiten Mangelware. Außerdem gibt es Unklarheiten ob es das Ziel ist, den Gradienten abzuflachen, oder die Lücke zwischen Arm und Reich zu verkleinern, oder den Bedürftigsten zu helfen.

Diskussion: Die Umsetzung von Gesundheitszielen hat große Fortschritte gemacht. Klar ist, dass die Leistungssteigerung von Programmen und Gesundheitssystemen unter Zuhilfenahme von Gesundheitszielen möglich aber voraussetzungsreich ist. Es bedarf einer engen Verknüpfung von Zielen, Verantwortlichkeiten, Informations-Infrastruktur und Vergütung. Politisches Stehvermögen ist ebenso unabdingbar.