Gesundheitswesen 2009; 71 - A113
DOI: 10.1055/s-0029-1239163

Die Sozialversicherung im Prozess der Deutschen Einheit. Konturen einer sozialstaatlichen Landnahme zwischen Solidarität und Eigeninteresse

M von Miquel 1
  • 1Dokumentations- und Forschungsstelle der Sozialversicherungsträger in NRW, Bochum

Einleitung: 2009 ist das Jubiläumsjahr der Deutschen Einheit, mit dem 20. Jahrestag der Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989 in Leipzig, auf die vier Wochen später die Öffnung der Mauer folgte. In der öffentlichen Debatte über Verlauf und Folgewirkung des Deutschen Einigungsprozesses wird die Übertragung der sozialstaatlichen Strukturen des Westens auf die ostdeutschen Bundesländer kontrovers beurteilt. Während auf der einen Seite die Sozialpolitik neben der Währungs- und Wirtschaftsunion als dritte tragende Säule eines solidarisch gestalteten Einigungsprozesses gilt, wird auf der anderen Seite eine Negativrechnung aufgemacht: Die Rentenzahlungen nach westdeutschem Muster zählten zu jenen problematischen Transferleistungen, mit denen die Deindustrialisierung des Ostens kompensiert werde, und vor allem die Gesundheitspolitik wird als Ausweitung eines ebenso rückständigen wie überteuerten Versorgungsmodells bewertet.

Material und Methoden: Jenseits solcher plakativen Zuschreibungen will das Referat einen Beitrag dazu leisten, ein genaueres Verständnis des Einigungsprozesses im Bereich der Renten-, Kranken- und Unfallversicherung zu ermöglichen. Dafür soll der bereits gut erforschte Verlauf der politischen Entscheidungen auf zwischenstaatlicher Ebene und im Bundeskabinett in Beziehung gesetzt werden mit dem Handeln der wichtigsten Akteure unter den Sozialversicherungsträgern, so den Vertretern des Verbandes der Deutschen Rentenversicherungsträger, der Krankenkassenverbände und des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften. Hinzu kommen auswählte Fallbeispiele, anhand derer die Umgestaltung der sozialen Sicherung in den ostdeutschen Bundesländern illustriert werden soll. Ein besonderer Fokus wird auf den konfliktreichen Bereich des Gesundheitswesens gelegt, in dem unterschiedliche Konzepte von Prävention und ambulanter Versorgung verhandelt wurden.

Als Quellenmaterial dienen Archivalien und Veröffentlichungen der Sozialversicherungsträger sowie Interviews mit Entscheidungsträgern auf ost- und westdeutscher Seite.

Diskussion: In der Diskussion soll über den Untersuchungszeitraum von 1990 bis 1994 hinaus auch die Frage erörtert werden, welche langfristigen Folgen die Deutsche Einheit auf die soziale Sicherung der Bevölkerung und auf sozialpolitischen Weichenstellungen in der jüngeren Vergangenheit zeitigte.