Gesundheitswesen 2009; 71 - A111
DOI: 10.1055/s-0029-1239161

Betriebliche Prävention unter ethischer Perspektive – sozialgeschichtliche und sozialphilosophische Anmerkungen

W Hien 1
  • 1Forschungsbüro für Arbeit, Gesundheit und Biografie, Bremen

Ein Grund-Dilemma der betrieblichen Prävention – worunter Arbeitssicherheit, Arbeitsmedizin, Sozialberatung und weitere, in der betrieblichen Prävention und der betrieblichen Gesundheitsförderung engagierte Praxisfelder verstanden werden – besteht darin, als professionelle/r Akteur/in im Spannungsfeld zwischen Arbeitgeber-Interessen, Arbeitsnehmerinteressen und Public-Health-Interessen agieren zu müssen. Anhand eines historischen Rückblicks soll der besondere Typus der sozialethisch und zugleich professionsethisch pointierten Arbeitsmedizin Ludwig Telekys dargestellt werden, der zwischen 1900 und 1933 wesentlichen Einfluss hatte auf die Entwicklung der Arbeits- und Sozialmedizin im deutschsprachigen Raum. Die Haltung Telekys stand in Opposition zur „volksgesundheitlichen“ Haltung des Großteils der damaligen Arbeitsmedizin und kann als Ausdruck einer Verantwortungsethik interpretiert werden, deren Quellen in der Tradition der jüdischen Sozialethik zu suchen sind. Eine so verstandene Verantwortung ist immer eine „Verantwortung für den anderen Menschen“, insbesondere den schwächeren und benachteiligten Menschen. Dies kann zu erheblichen Konflikten mit den involvierten sozialen Interessen führen; leistungs- und selektionsmedizinische Konzepte vertragen sich mit einer so verstandenen Verantwortungsethik nicht. In der neueren Ethik-Debatte hat Klaus Dörner diese Sichtweise auch gegenüber anderen Ethik-Ansätzen hervorgehoben. Im Kontext der durch Flexibilisierung, Prekarisierung und Individualisierung gekennzeichneten Arbeitswelt unserer Tage ist ein sozialethischer Ansatz, wie er in der Telekyschen Praxis zum Ausdruck kam, von großer Aktualität.