Gesundheitswesen 2009; 71 - A110
DOI: 10.1055/s-0029-1239160

Unfallversicherung und Prävention – Unfallverhütung zwischen Gesundheitsschutz und ökonomischen Interessen 1884–1933

S Knoll-Jung 1
  • 1Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, Workshop Geschichte der Sozialmedizin, Mannheim

In der Forschung wird vertreten, dass das deutsche Sozialversicherungssystem vornehmlich kompensatorischen Charakter hatte und erst langsam präventive Maßnahmen in den Blick nahm. Für den Bereich der Arbeitsunfälle, die durch die Unfallversicherung und deren Träger, die Berufsgenossenschaften, abgedeckt wurden, boten sich hingegen schon früh präventive Maßnahmen an. Diese wurden unter dem Begriff der Unfallverhütung subsumiert.

Die konkreten Unfallverhütungsmaßnahmen sollen auf ihren Anwendungsbereich und ihre Motivation untersucht werden. Entstanden sie aus einem solidarischen Schutzgedanken, politischem Druck oder ökonomischen Erwägungen?

Prävention von Unfällen gewann in der Unfallversicherung ab den 1890er Jahren immer höheren Stellenwert, was sich an den Ausgaben der Berufsgenossenschaften für Kontrolle der Betriebe und Erlass von Unfallverhütungsvorschriften ablesen lässt.

Die mediale Vermittlung solcher Botschaften vor Ort geschah zunächst nur in Textform. Nach und nach traten bildreiche Plakate, zum Teil schon Filme hinzu. Daneben wurde für Schutzvorschriften und Ausrüstungen geworben, Preisausschreiben zu deren Entwicklung ausgeschrieben, Schulungen und Wanderausstellungen angeboten. Weitere konkrete Maßnahmen waren die Verbreitung von Material zur Ersten Hilfe-Leistung und der Schulung von Mitarbeitern darin, aber auch der Kampf gegen Alkoholkonsum in den Betrieben.

Eine reale Verbesserung der gesundheitlichen Lage der Arbeiter kann demnach kaum geleugnet werden, entgegen der von einigen Autoren vertretenen Normalisierungsthese, wonach das Versicherungswesen weniger zur Verminderung und Reduktion von Risiken, sondern vielmehr zu deren Verbreitung und ‘Normalisierung’ beigetragen habe.

Beurteilt man den Maßnahmenkatalog allerdings auf seine Motivation hin, erhält man ein amibivalentes Ergebnis: Zum einen wurde nur präventiv eingegriffen, wo der Gesetzgeber eine Entschädigungspflicht festlegte. So blieben Berufskrankheiten bis 1925gänzlich ausgeschlossen.

Kostenersparnisse abzusehen waren. Beispielsweise wurden früh Maßnahmen unternommen, um Blutvergiftungen vorzubeugen, da hier aus geringfügigen Verletzungen hohe Folgekosten entstanden. Außerdem betrieb man im Vergleich zur Präventionsarbeit besonders großen Aufwand, um die Entschädigungskosten gering zuhalten, was sich in Schlagwörtern wie „Simulantenjagd“ oder „Kampf um die Rente“ widerspiegelte.

(gesetztes Abstract für den Workshop Geschichte der Sozialmedizin)