Gesundheitswesen 2009; 71 - A28
DOI: 10.1055/s-0029-1239078

Worüber berichten Zahnärzte, wenn sie nach Dilemma-Situationen in der Praxis gefragt werden? Ein Beitrag zur qualitativen Versorgungsforschung

B Robra 1, M Dick 1, W Marotzki 1, W Walther 1
  • 1Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Welche Probleme bewegen Zahnärzte in ihren Praxen? Wir baten 88 Zahnärztinnen und Zahnärzte, je 5 Situationen mit Konfliktpotenzial eigener Wahl in ihrer Praxis zu beschreiben.

Die Teilnehmer (TN) waren überwiegend in eigener Praxis niedergelassen und im berufsbegleitenden Professionalisierungsstudiengang „Integrated Practice in Dentistry“ eingeschrieben, der von der Universität Magdeburg und der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe seit 2004 angeboten wird. Im ersten Modul, das sich mit ärztlichem Denken, Entscheiden und Handeln beschäftigt, wurde das Format der Praxisvignette als „typisierende Fallgeschichte“ eingeführt. Das einführende Beispiel beschrieb eine schwer führbare Patientin mit fachlichen Bewertungsproblemen des Zahnersatzes in Verbindung mit fraglicher Indikation zur Überweisung, einem Dilemma wirtschaftlicher Praxisoptimierung und einem kollegialen Konflikt [1].

433 Vignetten waren auswertbar (4,9 pro TN). Die thematisierten Konfliktpotenziale wurden klassifiziert (2,3 Nennungen pro Vignette). Am häufigsten beschrieben die TN kollegiale Konflikte (16,4% der Vignetten), Systemprobleme des Gesundheitswesens (15,6%), Probleme beim Zahnersatz (15,0%) und problematische Besonderheiten ihrer Patienten (14,9%). Selten wurden diagnostische Probleme (1,3%), präventive Fragestellungen (2,1%) und kieferorthopädische Probleme (2,1%) beschrieben. Weitere Aspekte: Personalprobleme (9,6%), Organisationsprobleme (8,4%), konservierende Maßnahmen (6%), Parodontose (4,5%) und Endodontie (3,9%). In vielen Vignetten machten die TN Lösungsvorschläge, in einigen wurde auf Literatur oder Leitlinien verwiesen.

Ausgewählte Vignetten wurden in der Gruppe diskutiert. Dabei wurde u.a. deutlich, dass sich hinter „kollegialen“ Konflikten oft Bewertungsunterschiede zur fachlichen Qualität der Leistung oder zum weiteren Vorgehen verbergen, die mangels Kriterien nicht wissenschaftlich gelöst werden können, sondern als persönliche Diskrepanzen erscheinen. Einige Probleme können Ausgangspunkte für die Erstellung klinischer Pfade oder eigener Praxisprojekte (Masterarbeiten) sein.

Mit der Praxisvignette steht eine einfache Methode zur Priorisierung des praxisbezogenen Qualifizierungsbedarfs zur Verfügung. Ziel des Studiengangs ist, einen Prozess fachlicher und persönlicher Entwicklung zu fördern, der den Praxisalltags neu reflektiert und dazu beiträgt, eigene Lösungen zu seiner Gestaltung zu erproben.

Literatur: [1] Raven, Uwe: Professionelle Sozialisation und Moralentwicklung – Zum Berufsethos von Medizinern. Wiesbaden, Dt. Univ.-Verl., 1989, S. 316–7