Aktuelle Neurologie 2009; 36 - P815
DOI: 10.1055/s-0029-1238906

Entzündlich versus degenerativ, Zentralnervensystem versus peripheres Nervensystem – was können wir aus den aktuellen Erkenntnissen zur Pathogenese der amyotrophe Lateralsklerose für therapeutische Ansätze ableiten?

P Dibaj 1, H Steffens 1, J Zschüntzsch 1, ED Schomburg 1, F Kirchhoff 1, C Neusch 1
  • 1Göttingen

Die Pathomechanismen der Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) sind komplex: sie beinhalten Störungen von neuronalen und nicht-neuronalen Zellen einerseits und spielen sich andererseits sowohl im Zentralnervensystem (ZNS) als auch im Peripheres Nervensystem (PNS) ab. Insbesondere die entzündliche Komponente der motoneuronalen Schädigung im ZNS ist Ziel anti-inflammatorischer Ansätze im Mausmodell und in klinischen Studien. Die therapeutischen Erfolge sind allerdings eher gering. Die in den letzten 2 Jahrzehnten gewonnenen Erkenntnisse zur Pathogenese stützen sich auf Untersuchungen von transgenen Mäusen, die Mutationen im humanen Cu/Zn Superoxid Dismutase (mSOD1) Gen tragen und ein etabliertes Modell für die familiäre Form der ALS darstellen. Mikroglia-Aktivierung unterstützt das Voranschreiten der Motoneuron-Degeneration im ZNS, wie in transgenen Tiermodellen gezeigt werden konnte.

Mit der 2-Photonen-Lasermikroskopie (2P-LSM) wurden Zell-Zell Interaktionen unter in vivo Bedingungen im Vorderseitenstrang von ALS-Mäusen untersucht. Vergleichend hierzu wurde die Makrophagen-Axon Interaktion in der Vorderwurzel analysiert. Ziel der Untersuchung war die Entzündungsreaktion im ZNS und PNS unter in vivo Bedingungen über eine Zeitverlauf von mehreren Stunden zu analysieren. Zur Untersuchung einer gerichteten zellulären Entzündungsreaktion wurde durch einen Laserimpuls eine axonale Dissektion induziert. Im Vorderseitenstrang zeigte sich in präsymptomatischen Stadien zunächst eine überschiessende Reaktion von Mikroglia auf axonale Dissektion während in symptomatischen Stadien hochgradig amöboid transformierte Mikroglia nahezu keine Reaktion mehr zeigte. Dieser zweiphasige Verlauf lässt sich im PNS nicht nachvollziehen. Auf axonale Läsionen in der Vorderwurzel zeigten Makrophagen weder in präsymptomatischen noch in späten Krankheitsphasen eine signifikante Reaktion (Migration zur Läsionsstelle). In späten Krankheitsstadien findet sich im ZNS eine Mikrogliose, während im PNS keine wesentlichen Entzündungszeichen nachzuweisen sind. Die unterschiedliche Ausprägung der entzündlichen Komponente im ZNS versus PNS ist möglicherweise ursächlich für die geringen anti-inflammatorischen Erfolge im Tiermodell. Sie unterstützt weiterhin die Hypothese von unabhängig ablaufenden, vermutlich unterschiedlichen Pathomechanismen im ZNS und PNS. Die Bedeutung dieser pathomechanistischen Erkenntnise für therapeutische Ansätze, insbesondere unter dem Aspekt anti-inflammatorisch versus neuroprotektiv werden beleuchtet und diskutiert.