Aktuelle Neurologie 2009; 36 - P811
DOI: 10.1055/s-0029-1238903

Amyotrophe Lateralsklerose mit primär progressiver Aphasie: Implikationen für das Patientenmanagement anhand eines Fallberichtes

JS Dullinger 1, U Kopp 1, A Maier 1, P Linke 1, N Borisow 1, T Meyer 1
  • 1Berlin

Einleitung: Bei 5% aller ALS-Patienten liegt begleitend zur motorischen Systemdegeneration eine fronto-temporalen Lobärdegeneration (FTLD) vor. Die Diagnose einer FTLD führt zu einer reduzierten Prognose und einem komplexen Patientenmanagement. Zum einen ist die Anpassung medizin-technischer Hilfsmittel erschwert, zum anderen leitet sich aus den progredienten kognitiven Defiziten eine mögliche Therapiebegrenzung für invasive Maßnahmen einschließlich der PEG oder einer invasiven Ventilation ab. Zusätzlich ist die Formulierung des Patientenwillens nur eingeschränkt möglich.

Fallbericht: Wir präsentieren einen Patienten, bei dem sich im Alter von 63 Jahren eine progrediente nicht-flüssige Aphasie und eine zeitgleiche fortschreitende Paraparese der unteren Extremitäten manifestierten. Drei Monate nach Erstmanifestation der Symptome entwickelte sich ein progredientes Bulbär- und chronisches Hypoventilationssyndrom. Sieben Monate nach Erkrankungsbeginn wurde eine mechanische Ventilation notwendig. 24 Monate nach Symptomabeginn liegen ein hochgradiges Bulbärsyndrom und eine hochgradige beinbetonte Tetraparese vor. Zusätzlich besteht eine hochgradige Primäre Progrediente Aphasie (PPA), die im klinischen Spektrum der FTLD einzuordnen ist. Die Anwendung elektronischer Kommunikationssysteme ist auf Grund der PPA deutlich limitiert.

Diskussion: Bei dem präsentierten Patienten gingen Symptome einer PPA den motorischen Funktionsverlusten voraus. Aufgrund der kognitiven Defizite ist die Ermittlung eines konsistenten Patientenwillens erschwert möglich. Dieser Fallbericht verdeutlicht die Notwendigkeit einer frühzeitigen Erkennung kognitiver Defizite bei der ALS. Dabei kann die motorische Einschränkung der Sprachproduktion durch ein Bulbärsyndrom oder eine Tracheotomie eine demenzielle Entwicklung maskieren. Vor diesem Hintergrund ist bei diesem Patientenkollektiv eine gezielte neuropsychologische Erfassung von Symptomen der FTLD einschließlich der PPA angezeigt. Der Nachweis einer ALS-assoziierten FTLD ist für komplexe Entscheidungen im Spannungsfeld zwischen der Maximaltherapie und einer möglichen Therapiebegrenzung von klinischer Bedeutung.

Gefördert durch den Air Berlin Fonds für ALS-Therapieforschung an der Charité (www.als-charite.de).