Aktuelle Neurologie 2009; 36 - P807
DOI: 10.1055/s-0029-1238899

Störungsmuster der neurogenen Dysphagie beim Kennedy-Syndrom (spinobulbäre Muskelatrophie)

T Warnecke 1, S Oelenberg 1, I Teismann 1, S Suntrup 1, C Hamacher 1, P Young 1, EB Ringelstein 1, R Dziewas 1
  • 1Münster

Fragestellung: Die Mehrzahl der Patienten mit einem Kennedy-Syndrom leidet im Krankheitsverlauf an einer neurogenen Dysphagie. In der vorliegenden Studie wurden Schweregrad und Störungsmuster der neurogenen Dysphagie bei diesem Patientenkollektiv erstmals unter Anwendung einer objektiven apparativen Untersuchungsmethode evaluiert.

Methoden: Bei 10 Patienten mit genetisch gesichertem Kennedy-Syndrom (Durchschnittsalter: 54,1±10,3 Jahre) wurde eine fiberoptische endoskopische Untersuchung des Schluckaktes (FEES) durchgeführt. Die einzelnen FEES-Untersuchungen wurden anhand einer ordinalen Bewertungsskala, die 25 Items mit je 4 bis 5 Schweregraden umfasst, analysiert. Außerdem wurde bei allen Probanden die Dauer der pharyngealen Schluckphase gemessen. Die Ergebnisse der Kennedy-Patienten wurden mit einem altersgematchen Normalkollektiv (n=10) verglichen.

Ergebnisse: 8 Patienten mit Kennedy-Syndrom wiesen in der FEES eine neurogene Dysphagie auf. Das Hauptmerkmal der gestörten Schluckfunktion war ein inkomplettes pharyngeales Bolusclearing von festen Nahrungskonsistenzen. Daraus resultierten Residuen in den Valleculae, die bei einigen Patienten im Verlauf der Untersuchung über die apikale Epiglottis in den Larynxeingang penetrierten und teilweise aspiriert wurden. Flüssigkeiten wurden von allen Kennedy-Patienten ohne pathologische Befunde geschluckt. Im Vergleich zur Kontrollgruppe fand sich bei den Kennedy-Patienten eine signifikante Verkürzung der pharyngealen Phase des Schluckaktes (0,75 vs. 0,96 Sekunden; p<0,001). Insgesamt wurde die Dysphagie bei den meisten Patienten als leichtgradig eingestuft. Nur bei einem Kennedy-Patienten war aufgrund einer hochgradigen Dysphagie die Anlage einer perkutanen endoskopischen Gastrostomie (PEG) erforderlich.

Schlussfolgerungen: Die neurogene Dysphagie beim Kennedy-Syndrom ist vorwiegend durch eine Störung der pharyngealen Phase des Schluckaktes charakterisiert. Ursächlich für das Störungsmuster sind eine reduzierte Zungengrundbeweglichkeit sowie bilaterale Paresen der pharyngealen und laryngealen Muskulatur. Im Gegensatz zu Patienten mit amyotropher Lateralsklerose findet sich bei dysphagischen Kennedy-Patienten kein Leaking (=vorzeitiger Übertritt des Bolus in den Hypopharynx während der oralen Schluckphase). Die FEES ist bei Kennedy-Patienten eine geeignete Methode zur präzisen Dysphagiediagnostik, weil sie eine direkte Visualisierung des Nahrungsbolus auf seinem Weg durch den Pharynx ermöglicht.