Aktuelle Neurologie 2009; 36 - P716
DOI: 10.1055/s-0029-1238809

Myatrophische Paresen und Faszikulationen – ein Fallbericht zur Differenzialdiagnose ALS/CIDP

A Grabowski 1, H Ilsen 1, U Meyding-Lamadé 1
  • 1Frankfurt/Main

Fallbericht: Der 63-jährige Patient stellte sich erstmalig im Mai 2007 vor, wegen einer seit Ostern bestehenden und zunehmenden Schwäche des linken Armes mit Atrophien der proximalen und distalen Muskulatur. In der Untersuchung fielen Faszikulationen an beiden Armen und Oberschenkeln auf, das Kraftniveau des rechten Armes und beider Beine war normal. Der Reflexbefund war unauffällig, sensible Defizite lagen klinisch nicht vor.

Die umfangreiche Labor- und Liquoranalyse sowie die radiologische Diagnostik (MRT Schädel und HWS, CT-Thorax und Abdomen) waren ohne richtungweisenden Befund.

In der mehrfach wiederholten elektrophysiologischen Diagnostik fanden sich im EMG generalisierte Denervierungs- und Renervierungzeichen. Die Elektroneurografie zeigte erniedrigte motorische und sensible Nervenleitgeschwindigkeiten an den oberen Extremitäten und deutlich reduzierte bzw. keine Antwortpotentiale an den unteren Extremitäten. Eine Funktionsstörung und damit Beteiligung des somato-sensiblen Systems konnte in den somatisch evozierten Potentialen aufgezeigt werden.

Unter der Verdachtsdiagnose einer chronisch inflammatorisch-demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP) wurde zunächst eine Cortison-Stoss-Therapie durchgeführt, die keine Besserung ergab.

Im weiteren Verlauf war eine Generalisierungstendenz zu beobachten. Die anschließend begonnene i.v.-Immunglobulingabe (IVIg) konnte für ca. 6 Monate eine Stabilisierung des klinischen Bildes bewirken, danach kam es zum langsamen Fortschreiten der schlaff-atrophischen Tetraparese.

Diskussion: Im neurologischen Alltag wird der Symptomenkomplex mit zunehmenden Paresen, Muskelatrophien und muskulären Faszikulationen häufig mit dem Vorliegen einer Motoneuronerkrankung in Verbindung gebracht. Differenzialdiagnostisch kommen vor allem die CIDP wie auch die multifokale motorische Neuropathie (MMN) in Betracht. In der Differenzialdiagnose kommt der elektrophysiologischen Diagnostik große Bedeutung zu. Dabei sprechen eine Beteiligung des sensiblen Nervensystems und der Nachweis einer peripheren Markscheidenfunktionsstörung mit Leitungsblock gegen die Annahme einer ALS. Im vorgestellten Fall sprach die Konstellation mit generalisierten Demyelinisierungen für die Diagnose einer entzündlichen Genese im Sinne einer CIDP. Am ehesten liegt die Variante der „multifokalen erworbenen demyelinisierenden sensorischen und motorischen Neuropathie (MADSAM, Lewis-Sumner-Syndrom), bei der auch eine Wirksamkeit der IVIg-Therapie beschrieben wird.