Aktuelle Neurologie 2009; 36 - P703
DOI: 10.1055/s-0029-1238796

Akute Rindentaubheit und Tinnitusverlust bei sequentiellem bilateralem A. cerebri media-Teilinfarkt

K Meyer zur Capellen 1, M Loy 1, K Pfadenhauer 1, A Berlis 1, J Sciuk 1, M Naumann 1
  • 1Augsburg

Ein 67-jähriger Patient, der vor 21 Jahren einen rechtshirnigen Mediateilinfarkt mit residueller spastischer linksseitiger Hemiparese erlitten hatte, stellte sich notfallmäßig mit einer akuten kompletten beidseitigen Ertaubung vor. Gleichzeitig hatte er ein Verschwinden des seit Jahren bestehenden beidseitigen hochfrequenten Tinnitus bemerkt.

Ein MRT und FDG-PET des Gehirns zeigten neben einem alten fronto-temporo-parietalen rechtshirnigen Mediainfarkt eine frische Ischämie im hinteren Bereich der linken Inselregion sowie im oberen Temporallappen. Während der Kernspintomografie 3 Tage nach Infarktbeginn bemerkte der Patient erstmals wieder eine Hörwahrnehmung, wenig später das Neuauftreten eines beidseitigen Tinnitus, der dem durch das MRT-Gerät erzeugten Geräusch entsprach und sich qualitativ deutlich von dem vorbestehenden Tinnitus unterschied. Aufgrund des Gehörverlustes dekompensierte der Patient mit einem depressiven Syndrom und Suizidalität, weshalb eine vorübergehende stationär-psychiatrische Aufnahme erfolgen musste.

Im Verlauf einiger Tage kam es zu einer zunehmenden Besserung der Hörfähigkeit, so dass der Patient bei der letzten Nachuntersuchung ca. 10 Wochen nach dem Ereignis wieder ein ausreichendes Hörvermögen im normalen Sprachfeld erreichte bei fortbestehendem Tinnitus ohne zwischenzeitliche Frequenzänderung.

Simultan oder sequentiell auftretende bilaterale Infarzierungen des auditorischen Kortex sind eine seltene Manifestation einer Hirngefäßerkrankung und ungewöhnliche Ursache einer akuten beidseitigen Ertaubung. Kortikale Ertaubungen können dabei subjektiv klar wahrgenommen werden oder aber von den Betroffenen gar nicht bemerkt werden (auditorisches Anton-Syndrom).

Neben dem Hörvermögen verschwand bei unserem Patienten auch der Tinnitus um nach Wiedereinsetzen des Hörvermögens in qualitativ veränderter Form zurückzukehren. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass in der Pathophysiologie des Tinnitus dem auditorischen Kortex zunehmende Bedeutung beigemessen wird.

Die Annahme einer Tinnitus-Entstehung im Bereich des auditorischen Kortex wäre auch vereinbar mit ersten Ergebnissen der repetitiven Magnetstimulation der Hörrinde, die bei Patienten mit Tinnitus eine Besserung erzielen konnte.