Hintergrund: Die kortikale Verarbeitung vestibulärer Informationen beim Menschen ist bedeutsam
für die Orientierung und Interaktion im Raum, zur Wahrnehmung der Eigenbewegung und
Schwerkraft. Ihre funktionelle Organisation und Lokalisation ist nicht abschließend
geklärt, bisherige Erkenntnisse stützen sich auf tierexperimentelle Untersuchungen,
Läsionsstudien und auf die funktionelle Bildgebung.
Fallbericht: Ein 69-jähriger Patient stellte sich mit akutem Drehschwindel und einer linksseitigen
sensomotorischen Hemisymptomatik vor. In der klinischen Untersuchung zeigte sich ein
richtungsbestimmter Nystagmus nach rechts mit rotatorischer Komponente. In der kranialen
Kernspintomografie fanden sich rechts temporo-parietal im Mediastromgebiet mehrere
ischämische Areale, betont in der rechten Postzentralregion. Als ursächlich für den
Hirninfarkt ist bei zerebraler Makroangiopathie ein arterio-arteriell embolisches
Geschehen anzunehmen.
Unter thermischer Stimulation zeigten sich die Vestibularorgane seitengleich erregbar,
der Spontannystagmus war umkehrbar, damit wurde eine Affektion des peripher-vestibulären
Systems ausgeschlossen. Der beschriebene Nystagmus ist somit als Zeichen einer zentral-vestibulären
Funktionseinschränkung anzusehen; bei unauffälliger Bildgebung im Bereich des Hirnstammes
und Kleinhirns und manifester Ischämie im rechtshemisphärischen Mediastromgebiet ist
er als Folge einer Störung der cortikalen vestibulären Areale zu werten.
Diskussion: Der vestibuläre Kortex beim Menschen ist ein multisensorisches System, dessen bedeutendstes
Areal der parietal-insuläre vestibuläre Kortex (PIVC) darstellt. Die Hauptrepräsentanz
des PIVC liegt auf der nicht-dominanten (also meist rechten) Hemisphäre. Auch die
Areale 2v und 3aV des primären somatosensorischen Kortex, sowie Areal 6 des prämotorischen
Kortex und Area 7 des inferioren Parietallappens scheinen Teil des zentral-vestibulären
Netzwerkes zu sein. Aufgrund der multilokalen Repräsentanz und der komplexen Vernetzung
des vestibulären Kortex ist die Seltenheit vestibulärer Symptome bei kortikalen Läsionen
erklärbar. Symptome wie Schwindel und gerichtete Fallneigung sind bei Läsionen des
dominanten PIVC in der Literatur beschrieben, das Auftreten von persistierenden zentralen
Nystagmusformen wird jedoch nicht berichtet. Es finden sich tierexperimentelle Berichte
über das Auftreten von horizontalen, zur Seite der Läsion schlagenden richtungsbestimmten
Nystagmen nach experimenteller Embolisation der ACI.