Klin Padiatr 2009; 221(7): 409-414
DOI: 10.1055/s-0029-1233494
Übersichtsartikel

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Juristische Aspekte der rituellen Zirkumzision

Legal Aspects of Ritual CircumcisionM. Schreiber1 , G. E. Schott1 , W. Rascher2 , A. W. Bender3
  • 1Abteilung für Kinderurologie, Urologische Klinik, Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen
  • 2Kinder- und Jugendklinik, Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen
  • 3Justiziariat des Klinikums, Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen
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Publication Date:
10 December 2009 (online)

Zusammenfassung

Die weibliche Zirkumzision (Genitalverstümmelung) ist eine nach deutschem Recht strafbare Menschenrechtsverletzung. Sie darf auch nicht mit einer Einwilligung der zu beschneidenden Person und/oder deren gesetzlichen Vertreter vorgenommen werden, da eine Einwilligung in eine weibliche Zirkumzision sittenwidrig und damit unwirksam wäre. So einig man sich bei der weiblichen Zirkumzision ist, so unklar ist die Rechtslage hinsichtlich der männlichen Zirkumzision aus rituellen Gründen. In der Praxis wird, von der Öffentlichkeit unbeachtet, zirkumzidiert – egal ob aus medizinischen oder rituellen Gründen – ohne tiefer gehende Reflexionen anzustellen über die Eindeutigkeit der medizinischen Indikation oder über die Rechtslage bei ritueller Beschneidung. Medizinisch betrachtet gibt es große Unterschiede zwischen weiblicher und männlicher Zirkumzision, jedoch auch gewisse Parallelen. Verschiedene Gründe, die zum Teil auf Vorurteilen oder Fehlinformationen beruhen, lassen davor zurückschrecken, auch die Zirkumzision von Knaben als unrechtmäßig zu bewerten. Entgegen einer sogar als vorherrschend zu bezeichnenden Auffassung ist aber auch die männliche Zirkumzision eine Körperverletzung, die der Arzt im Anschluss an ein Aufklärungsgespräch nur mit Einwilligung durch den Betroffenen vornehmen darf. Da die rituelle männliche Zirkumzision nicht dem Wohl des Kindes entspricht, können dessen Eltern nicht rechtswirksam an Stelle des Kindes in die Zirkumzision einwilligen. Die männliche Zirkumzision ist nur mit Einwilligung des Kindes erlaubt und damit erst dann zulässig, wenn das Kind ein Alter erreicht hat, in dem es die Reife hat, die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs für sich zu überblicken, was kaum vor Vollendung des 16. Lebensjahres der Fall sein dürfte.

Abstract

Female circumcision (genital mutilation) is a criminal violation of human rights under German law. Even with consent of the person to be circumcised and/or her legal representative this procedure must not be carried out since a consent to female circumcision is unethical and therefore void. As much consent as there is on female circumcision the legal situation with ritual male circumcision is very unclear. In practice and unnoticed by the public male circumcision is carried out – be it for medical or ritual reasons – without deeper-going reflexions on the clearness of the medical indication or the legal situation with ritual circumcision. From the medical aspect there are big differences between female and male circumcision but also certain parallels. Various reasons, partly founded in prejudice and misinformation, make people refrain from regarding circumcision of boys also as illegal. Contrary to the prevailing opinion male circumcision also represents a bodily harm which a doctor can only carry out after a preoperative interview and with the consent of the affected person. Since ritual male circumcision does not serve the wellbeing of a child it is not possible for the parents to give their consent to the circumcision in lieu of the child. Male circumcision is only permitted if the child has given his consent and is thus only legally permitted if the child has reached an age at which he is mature enough to understand the meaning and extent of such an action which is hardly the case before he has completed his 16th year.

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Korrespondenzadresse

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