PPH 2009; 15(3): 141-142
DOI: 10.1055/s-0029-1225477
Psychiatrie-Erfahrene

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gedanken zu einer Beziehung

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Publication Date:
01 July 2009 (online)

Sie sagen, ich kann mich so gut in andere Menschen hineinversetzen, da ich Vieles erlebt habe. Aber was ist mit ihnen? Wie wollen sie mir helfen, wenn sie doch ein ganz anderes Leben wie ich hatten und haben? Wie wollen sie mich verstehen, wenn sie doch gesund sind? Meine Selbstzweifel müssen für sie doch fremd sein, mein Selbsthass für sie doch unverständlich. Und doch versuchen sie mich auf den „richtigen” Weg zu bringen. Immer wieder aufs Neue, ohne mich fallen zu lassen. Warum? Liegt es daran, dass sie dafür bezahlt werden? Dass dies ihr Beruf, ihre Berufung ist?

Wissen sie eigentlich, dass die Menschen, die sie begleiten, die ihnen Vertrauen entgegenbringen, auch positive Gefühle für sie haben? Klar, manchmal nerven sie, stressen mich mit Fragen, die unangenehm sind, da sie in die tiefsten Tiefen meiner Gedanken- und Gefühlswelt vieles aufwühlen. Ja es gibt Zeiten, da würde ich sie nur noch anschreien wollen. Es gibt Zeiten, da möchte ich sie nicht sehen, da ich so wütend auf sie bin. Vor allem, wenn sie mit ihrer positiven Einstellung scheinbar meinen Pessimismus nicht sehen oder verstehen können. Trotzdem geben sie nicht auf, sondern suchen immer wieder den Kontakt zu mir, trauen sich immer wieder in die Höhle des Löwen. Sie vertrauen mir, dass ich ihnen nichts tue und meinen mich zu kennen. Aber tun sie das wirklich?

Immer wieder frage ich sie, warum sie das tun, warum sie mich immer noch nicht aufgegeben haben. Ihre Antworten höre ich schon und doch weiß ich sie nicht. Vielleicht weil ich sie nicht kenne und verstehe. Wie kann jemand Gesundes sich mit so kranken Menschen auseinandersetzen? Sich jeden Tag die ganzen Probleme anhören und dabei noch versuchen Antworten zu finden? Ja, sie werden dafür bezahlt. Aber ist das ein Grund?

Halten sie doch mal meine Hand, streichen mir über den Rücken oder halten mich fest, damit ich weiß, irgendwo in mir, dass ich doch nicht der allerletzte Abschaum auf dieser Welt bin. Damit ich ein wenig verstehe, dass sie hier sitzen. Weil ich ihnen vielleicht etwas wert bin? Aber das geht ja nicht, da es nicht professionell wäre. Es wäre zu nah, die falsche Ebene für unsere Beziehung.

Wie wenig hab ich doch erreicht in meinem Leben. Nichts gegen sie, aber es ist doch armselig, dass sie der einzige Mensch sind, der Dinge von mir erfährt, die ich sonst niemandem erzähle. Hören sie mir zu, weil sie es wollen, weil sie neugierig sind oder weil sie dafür bezahlt werden?

Was haben wir schon für Zeiten miteinander erlebt. Wir waren uns nahe und dann wieder weit voneinander entfernt. Manchmal dachte ich schon, dass unsere Beziehung auseinanderbricht, da ich das Gefühl hatte, sie verstehen mich absolut nicht. Da ich Dinge tat, die für sie nicht mehr nachvollziehbar oder gar verständlich waren. Trotzdem haben wir immer wieder einen Weg gefunden, aufeinander zuzugehen. Warum ich es tat, weiß ich. Aber bei ihnen verstehe ich es nicht. Mit Wut und Aggressionen kommt man bei ihnen nicht weit, wird man sie nicht los. Ich weiß es, denn ich habe es mehr als einmal probiert und die Grenzen ausgetestet. Aber sie sind geblieben, haben meine Wut, meinen Frust angehört und vor allem ausgehalten. Sie sind immer wieder auf mich zugegangen, mir entgegengekommen. Sie haben immer wieder einen Weg gesucht, an mich heranzukommen, wenn ich mich zurückgezogen habe. Warum lassen sie mich nicht einfach allein in meiner selbst gebauten Burg, die mir Schutz bietet vor Verletzungen? Warum soll ich nur über alles reden, was mich beschäftigt? Vor allem, warum hören sie mir immer noch zu? Wird ihnen nicht mal langweilig, wenn sie x-mal sich das Gleiche anhören müssen? Ich wieder an mir Zweifel und das Gefühl habe, ich passe zu nichts und niemandem, vor allem nicht in diese Gesellschaft.

Die Leben spielt einem manchmal übel mit. Nicht nur, dass ich seit meiner Kindheit psychisch eine Behinderung habe. Nein, nun kam der Tumor im Kopf dazu. Wird dies unsere letzte schwierige Geschichte, die wir gemeinsam beschreiten? Sie hoffen doch sicherlich, dass sie es mit ihrem Optimismus schaffen, dass ich dagegen auch noch kämpfe. Nein, dass ich für mich kämpfe. Aber ich weiß nicht, ob sie verstehen können, dass ich des Kämpfens einfach müde bin. Sie haben nicht die Dinge in ihrem Leben erlebt und vor allem überlebt wie ich. So viel Zeit und Kraft haben sie in mich investiert, immer wieder ein Licht am Ende des Tunnels gesehen. Ist es dann nicht Verrat, wenn ich jetzt aufgebe? Und warum sind sie dann immer noch da?

Ich würde ihnen bestimmt wieder zu nahe kommen, wenn ich sie fragen würde, was sie fühlen. Was es mit ihnen macht, dass ich so schwer krank bin. In den letzten Tagen habe ich wieder gemerkt, dass sie einfach nicht aufgeben. Sie stellen unglaublich viele Fragen, obwohl es mir nicht leicht fällt zu reden. Ich möchte da nicht hinsehen, da es schmerzt in mir. Aber es ist ja ihr Beruf, mir zuzuhören, mich zu begleiten, egal wohin der Weg mich, uns führt. Ausnutzen sollte ich das und kann es doch nicht. Denn ich sehe in ihnen eben mehr als nur eine Sozialarbeiterin. Ich sehe auch einen Menschen, der sie nun mal auch sind. Sie finden das auch gut, aber es steht mir auch im Weg. Denn Menschen haben Gefühle, die ich nie verletzen möchte. Niemandem zur Last fallen, auch ihnen nicht. Andere Leute schaffen ihr Leben auch alleine, warum nicht dann auch ich?

Wenn es nicht so traurig wäre, wäre es jetzt spannend, wohin mich ihre kleinen Schubser bringen, was sie jetzt noch bei mir erreichen können. Wohin uns dieser Weg bringt und ob noch eine Abzweigung kommt. Werden sie es auch diesmal schaffen, dass ich über meine Gefühle rede? Darüber, wie traurig mich das macht, wie wütend, und dass ich mir so oft in den letzten Tagen wünsche, dass schon alles vorbei wäre. Über meine tiefsten Wünsche, wie das Meer noch ein letztes Mal zu sehen, Weihnachten und meinem Geburtstag mit meinen Freunden verbringen zu können.

Egal wie viel Zeit uns noch bleibt, wir werden wieder gute und schlechte Gespräche miteinander haben. Wir werden streiten und uns wieder verstehen. Ich werde wieder wütend auf sie sein und vielleicht auch auf mich. Trotzdem sind sie noch da und glauben an mich. Immer wieder aufs Neue …

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