Geburtshilfe Frauenheilkd 2009; 69 - P123
DOI: 10.1055/s-0029-1225198

Krebsbehandlung im Kindesalter wirkt weniger gonadotoxisch als bei Erwachsenen: Eine retrospektive Studie

I Zervomanolakis 1, S Foeger 1, MS Reifer 1, L Wildt 1
  • 1Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Department Frauenheilkunde, Medizinische Universität Innsbruck, Innsbruck

Fragestellung: Durch die Optimierung der Krebsbehandlung hat sich die Überlebensrate junger Krebspatientinnen nach Chemo- bzw. Strahlentherapie in den letzten drei Jahrzenten deutlich verbessert. Trotzdem leiden einige Patientinnen an den Folgen der Zytotoxizität dieser Behandlung. Ziel unserer Studie ist, das Ausmaß der Fertilitätseinschränkung nach zytotoxischer Therapie in verschiedenen Altersgruppen zu beobachten. Methodik: 75 Patientinnen im Alter zwischen 18 und 50 Jahren, die sich einer Chemo- bzw. Strahlentherapie in den letzten 15 Jahren an unserer Klinik wegen Krebs unterzogen haben, wurden in eine retrospektive Studie eingeschlossen. 30 Patientinnen waren jünger als 18 Jahre während der Behandlung (Gruppe A), wobei ihr Durchschnittsalter während der Studie bei 25,5 Jahren lag (19–33 Jahre). 26,7% der Patientinnen in der Gruppe A litten an Leukämie, während 33,3% wegen eines Sarkoms und 20% wegen eines Lymphoms behandelt wurden. Alle Patientinnen der Gruppe A bekamen eine Chemotherapie, während 14 Patientinnen (46,66%) sowohl Chemo- als auch Strahlentherapie bekamen. 45 Patientinnen waren älter als 18 Jahre während der Behandlung (Gruppe B), wobei ihr Durchschnittsalter während der Studie bei 37,0 Jahren lag (18–48 Jahre). Während 55,6% der Patientinnen in der Gruppe B wegen eines Lymphoms behandelt wurden, litten 28,9% an Zervixkarzinomen und 15,5% an anderen Krebserkrankungen. Alle Patientinnen der Gruppe B bekamen Chemotherapie, während 23 Patientinnen (51,2%) sowohl mit Chemo- als auch Strahlentherapie behandelt wurden. Der Amenorrhoestatus wurde als das Ausbleiben der Menstruation für mindestens 12 Monate nach Abschluss der Therapie definiert. Das Anti-Müller-Hormon (AMH) als Marker der ovariellen Funktionsreserve, Gonadotropinen, klimakterische Erscheinungen wie Hitzewallungen bzw. Schweißausbrüche von Frauen ohne Behandlung mit Ovulationshemmern oder Hormonersatzpräparaten, Methoden zum Fertilitätserhalt sowie Schwangerschaften nach Therapieabschluss wurden evaluiert. Ergebnisse: In der Gruppe A zeigte sich ein signifikant erhöhter AMH-Wert (3,33±3,26µg/l gegen 1,07±0,89µg/l, p<0,05) verglichen mit der Gruppe B. FSH war signifikant erniedrigt in der Gruppe A (5,69±3,2 IU/l gegen 56,25±1,63 IU/l, p<0,05) als Zeichen des Prämenopausalstatus. Ebenso war LH signifikant erniedrigt in der Gruppe A (5,91±3,1IU/l gegen 151,0±22,63 IU/l, p<0,05). Patientinnen mit Zustand nach Krebsbehandlung in der Kindheit wiesen eine niedrigere Amenorrhoerate ohne Behandlung mit Ovulationshemmern oder Hormonersatzpräparaten auf (23,1% gegen 80,0%, p=0,03), während die Hitzewallungen bzw. Schweißausbrüche in dieser Patientengruppe signifikant seltener auftraten (8,3%, gegen 64,3%, p<0,05 bzw. 8,3%, gegen 78,6%, p<0,05). Obwohl sich keine einzige Patientin der Gruppe-A-Patientinnen einer Kryokonservierung vom Ovarialgewebe bzw. Behandlung mit GnRH-Analoga unterzogen hat, wurden 13,3% der Patientinnen schwanger nach Abschluss der Therapie. Der gleiche Anteil in der Gruppe B lag bei 4,5% (p=0,39), wobei 26,7% der Gruppe-B-Patientinnen mit GnRH-Analoga zum Ovarschutz während der Chemotherapie behandelt wurden und 22,2% der gleichen Gruppe sich einer Laparoskopie und Kryokonservierung vom Ovarialgewebe bekamen. Schlussfolgerung: Unsere Studie zeigt, dass Krebsbehandlung im Kindesalter weniger gonadotoxisch als bei Erwachsenen wirkt. Die Tatsache, dass ein hoher Anteil der Patientinnen in beiden Gruppen keine Blutung ohne Behandlung mit Ovulationshemmern oder Hormonersatzpräparaten erlebten, unterzeichnet allerdings das Risiko der chemotherapie-induzierten Amenorrhoe in diesem speziellen Patientenkollektiv. Infolgedessen sollten die Krebspatientinnen über die Wirkung der zytotoxischen Therapie in Bezug auf ihre Fertilität ausführlich aufgeklärt werden und das Angebot der fertilitätserhaltenden Methoden in Anspruch nehmen.