Zentralbl Chir 2009; 134(6): 501
DOI: 10.1055/s-0029-1224726
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

Aktuelle Exempel einer breiten und dynamischen Entwicklung in der Kinderchirurgie

Topical Examples for a Broad and Dynamic Development of Paediatric SurgeryH. Till1
  • 1Universitätsklinikum Leipzig AÖR, Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie, Leipzig, Deutschland
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
17. Dezember 2009 (online)

Zitat: „Die Kinderchirurgie ist in zunehmender Entwicklung begriffen. Dennoch hat es den Anschein, als würde der Umfang nicht immer erkannt“, schrieb 1964 Professor Fritz Meissner, ehemaliger Ehrenpräsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie und Ordinarius der Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie in Leipzig. Meines Erachtens trifft diese Aussage auch auf die heutige Kinderchirurgie zu, denn es gibt derzeit einige maßgebliche Entwicklungen, die diskussionswürdig sind. In diesem Sinne setzt das vorliegende Themenheft des Zentralblatts für Chirurgie seine jahrelange Tra­di­tion fort (siehe auch Heft 6 / 2008), ausgewählte ­Aspekte der Kinderchirurgie zum Dialog zwischen Chirurgen und Kinderchirurgen aufzubereiten.

So beschäftigt sich ein Themenblock mit Erkrankungen des Neugeborenen und des Säuglings. Dabei ist das Manuskript über die Bauchwanddefekte insofern besonders relevant, als die Inzidenz der ­Erkrankung bundes- und weltweit in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Natürlich kann der Artikel die Ursachen dafür nicht endgültig klären. Vielmehr will er allen Kollegen, die diese Familien pränatal beraten und postnatal versorgen, eine aktualisierte Übersicht über die Strategien und deren Erfolgsraten bzw. Komplikationen darstellen.

Apropos pränatal: Auch die Darstellungen zur Zwerchfellhernie zielen in diese Richtung und ­erläutert die aktuellen Techniken einer pränatalen Chirurgie. Wissenswert ist es vor allem, den ­betroffenen Familien im Rahmen einer pränatalen Beratung die wichtigsten Entscheidungshilfen mitgeben zu können.

Bleiben wir bei einer Chronologie des Patienten­alters, so beleuchtet das nächste Manuskript die ­Ergebnisse nach Behandlung von Patienten mit M. Hirschsprung bzw. Analatresie. Aktuell ist dieses Thema deswegen, weil sich in den letzten Jahren für beide Pathologien minimalinvasive Techniken etabliert haben, die nun auf den Prüfstand des funktionellen Outcomes gestellt werden müssen. Denn das Argument, dass man den M. Hirschsprung heutzutage laparoskopisch oder sogar rein transanal korrigieren kann und damit die Kosmetik verbessert wird, reicht allein nicht mehr aus. Stattdessen müssen wir fordern, dass die Erfolgs- und Komplikationsrate vergleichbar oder besser sind als die der konventionellen Techniken. Und gleiches gilt bei der Analatresie für die laparoskopische Durchzugsoperation nach Georgeson, welche den Goldstandard nach Pena (PSARP; posterior-sagit­tale Anorektoplastik) herausfordert und dabei eine vergleichbare (oder bessere) Kontinenzrate und langfristige Lebensqualität erzielen muss.

In diesen Kontext fällt auch der Artikel von Prof. Kellnar zur laparoskopischen Versorgung der Leistenhernie des Kindes. Lange Zeit war der Nutzen dieser Methode angesichts der sowieso „kleinen, offenen“ Operation unklar. Durch die „Evolution“ der laparoskopischen Technik aber scheint nun ein Kenntnisstand erreicht zu sein, der vergleichbare Ergebnisse bringen sollte, sodass diese Diskussion nochmals aktualisiert werden müsste.

Schließlich hat die Diskussion um eine „narben­lose Chirurgie“ nun auch bei Kindern begonnen. Sowohl NOTES (natural orifice transluminal endoscopic surgery), als auch LESS (laparo-endoscopic single-site surgery) fordern dabei das Paradigma heraus, dass bei der Laparoskopie mehrere ver­setzte Trokare platziert werden müssen, um ergonomische Winkel und große Freiheitsgrade zu ­generieren. Stattdessen hat die LESS zum Ziel, die Operation über eine singuläre Inzision am / im ­Nabel zu bewerkstelligen, während bei NOTES die Operation allein über eine natürliche Körperöffnung vorgenommen wird. Welche Techniken und Prinzipen dabei zum Tragen kommen müssen und welche Vor-, aber auch Nachteile dabei für Kinder und Jugendliche kalkuliert werden müssen, soll im vorliegenden Beitrag dargestellt werden. Ob diese Innovationen aber dazu führen, dass die Kinder schneller wieder fit sind und früher nach ­Hause gehen können und welche anästhesiolo­gischen und chirurgischen Konzepte hinter dem Begriff „Fast-Track-Kinderchirurgie“ stecken, run­det die Erörterungen zu innovativer und „schonender“ Kinderchirurgie weitgehend ab.

Bleibt in der Chronologie des Alters und „Gewichts“ dann noch der Beitrag zur Adipositaschirurgie bei Kindern und Jugendlichen. Hier sollen vor allem die aktuellen Leitlinien und pathophy­siologischen Einflüsse der Bariatrischen Chirurgie erläutert werden, um das Verständnis in der „Community“ zu verbreitern, dass die Bariatrische Chirurgie keinesfalls eine „Schönheitsoperation“ ist, sondern zum Ziel hat, die gravierenden Ko-Morbiditäten, insbesondere den adipositasassoziierten Diabetes mellitus Typ 2, zu verbessern.

Zusammenfassend sind die vorgestellten Beiträge aus unserer Sicht Zeuge dafür, dass sich die Kinderchirurgie bis heute ihre Dynamik erhalten hat, die schon 1964 von Professor Meissner beschrieben wurde. Allerdings ist die medizinische Zeit heute schnelllebiger als damals, denn der Wissensstand verdoppelt sich zirka alle 5 Jahre. Deswegen brauchen wir Themenhefte wie dieses, um einerseits zeitnah zu informieren und andererseits die wichtigste Frage immer wieder in den Mittelpunkt zu stellen: Welchen (nachweisbaren) Vorteil haben unsere kleinen Patienten davon?

Prof. H. Till

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