Psychiatr Prax 2009; 36(3): 152
DOI: 10.1055/s-0029-1220821
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Zum Urteil des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes vom 5. Dezember 2008

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Publication Date:
06 April 2009 (online)

 

Verantwortlich für diese Rubrik: Manfred Wolfersdorf, Bayreuth; Iris Hauth, Berlin

2007 wurden in Niedersachsen sieben psychiatrische Landeskliniken an private Betreiber verkauft, die im Rahmen einer Regionalpflichtversorgung auch Patienten nach dem Landesunterbringungsgesetz (NPsychKG) zu behandeln haben. Diese sieben Kliniken besitzen jeweils auch forensisch-psychiatrische Fachabteilungen, in denen Patienten nach dem niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetz (MVollzG) untergebracht sind.

Mitglieder der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis90/Die Grünen im Niedersächsischen Landtag hatten in einem Normenkontrollantrag gerügt, dass durch die in den beiden Gesetzen ermöglichte Übertragung von Aufgaben des Maßregelvollzugsgesetzes und der Unterbringung psychisch Kranker auf private Gesellschaften als Träger psychiatrischer Krankenhäuser der in Art.60 Satz1 der Niedersächsischen Verfassung niedergelegte Vorbehalt für Berufsbeamte verletzt werde. Die übertragenen Aufgaben führten zu erheblichen Beeinträchtigungen grundrechtlich geschützter Freiheiten der untergebrachten Personen und seien vom Gesetzgeber nur mit fiskalischen Erwägungen gerechtfertigt worden. Der Niedersächsische Staatsgerichtshof Bückeburg hat mit Urteil vom 5.Dezember 2008 sich dieser Argumentation nicht angeschlossen, aber doch einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Demokratieprinzip festgestellt. Die Änderungsgesetze vom 25.Januar 2007 zum Niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetz und zum Niedersächsischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke seien teilweise mit der Niedersächsischen Verfassung unvereinbar.

Für den Bereich des Maßregelvollzuges war in Niedersachsen im Rahmen der Privatisierung der Kliniken die Regelung getroffen worden, dass nach dem Verkauf jeweils 14 Mitarbeiter pro Einrichtung (in aller Regel 4 Ärzte und 10 Pflegekräfte) Landesbedienstete blieben und als solche in der beliehenen Einrichtung rund um die Uhr die Entscheidungen über hoheitlich zu legitimierende Maßnahmen zu treffen bzw. diese zu überwachen haben. Dienstrechtlich wurden sie zwei in Landesträgerschaft verbliebenen Maßregelvollzugskliniken zugeordnet. In diesen Maßregelvollzugseinrichtungen arbeiten also sowohl Landesbedienstete als auch Angestellte der privaten Klinikbetreiber, freilich mit unterschiedlichen Befugnissen, aber auch unterschiedlichen Gehaltstarifen und Wochenstundenzahlen. Für die klinischen Bereiche wurden die Kliniksbetreiber aufgefordert, "Vollzugsbeamte" zu benennen, die bei der Anwendung freiheitsentziehender Maßnahmen etc. im Rahmen des NPsychKG deren Notwendigkeit festzustellen haben.

Im Urteil des Staatsgerichtshofs wird nun festgestellt, dass bei der Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse auf juristische Personen des Privatrechts oder Personengesellschaften im Wege der Beleihung diese allein nicht ausreiche, sondern dass vielmehr die natürlichen Personen, die diese Befugnisse tatsächlich ausübten, über eine personelle demokratische Legitimation verfügen. Die Erforderlichkeit einer Bestellung durch staatliche Behörden betreffe "sämtliche Bediensteten des Krankenhausträgers, dieGrundrechtseingriffe gegenüberuntergebrachten oder dritten Personen anordnen oder durchführen". Erforderlich sei deshalb auch die besondere Bestellung einer Ärztin oder eines Arztes, der bzw. dem die Behandlung der untergebrachten Personen obliege.

Verfassungsrechtlich geboten sei ein Weisungsrecht gegenüber allen Bediensteten, die zur Wahrnehmung von Aufgaben beim Vollzug der Unterbringung psychisch Kranker zur Anordnung und Durchführung grundrechtseinschränkender Maßnahmen befugt seien.

Überdies müsse Gewähr dafür bestehen, dass die individuell bestellten Bediensteten jederzeit, ggf. über den für diesen Krankenhausbereich verantwortlichen Arzt, aber ohne Einschaltung des Krankenhausträgers der Fachaufsichtsbehörde berichten können.

Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2010 durch Änderung der genannten Gesetze eine Regelung zu treffen, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Bis zu diesem Zeitpunkt gelten die Gesetze in ihrer gegenwärtigen Fassung fort.

Ob und wie weit diese niedersächsische Entscheidung Auswirkungen auf die Situation in anderen Bundesländern haben kann, bleibt zu beobachten.

Dr. Manfred Koller

Ärztlicher Direktor Asklepios

Fachklinikum Göttingen

Rosdorfer Weg 70

37081 Göttingen

Email: m.koller@asklepios.com

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