Psychiatr Prax 2009; 36(3): 150-151
DOI: 10.1055/s-0029-1220819
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Psychosoziale Arbeit in der Psychiatrie - systemisch oder subjektorientiert?

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Publication Date:
06 April 2009 (online)

 

Das Lehrbuch von Sigrid Haselmann, Professorin an der FH Neubrandenburg, versteht sich als Versuch, die systemische und subjektorientierte Perspektive einander ergänzend in einem Orientierungsrahmen für die psychosoziale Arbeit zu integrieren. Die Beziehungsgestaltung zwischen Klienten und Professionellen als Zusammenwirkende in Klient-Helfer-Systemen steht dabei im Zentrum des gewichtigen Bandes. Psychosoziale Arbeit, die im wesentlichen Beziehungsarbeit ist, beinhaltet eine "Verschränkung von sozialorientierter und psychotherapeutischer Handlungsperspektive" mit dem Ziel, die Betroffenen - von ihren individuellen Handlungs- und Wirklichkeitskonstruktionen sowie ihrem sozialräumlichen Kontext ausgehend - in ihrem Gesundungsprozess und dem Bemühen um Problembewältigung zu unterstützen.

Nach kompetenter Einführung in den wissenschaftstheoretischen und gesundheitspolitischen Kontext Sozialer Psychiatrie (Kap.1) wird die Subjektorientierung als grundlegende Haltung und Handlungsmaxime in der Sozial-/Gemeindepsychiatrie dargestellt (Kap.2). Die spezifische Arbeit "im Feld" nimmt hierbei besonderen Bezug auf die Bedürfnisse von Psychoseerfahrenen. Im begleitenden Verstehen finde sich die Beziehungsebene zu stark akzentuiert und fördere damit, auch dies wird als "Fallstrick" desillusioniert begründet, die Chronifizierung.

Das 3. und umfangreichste Kapitel widmet sich Denk- und Handlungsmodellen aus systemischer Perspektive. Leitideen, Haltungen und Interventionsformen werden, auch in ihrer Anwendung in psychiatrischen Handlungsfeldern, beschrieben und diskutiert und ein "Wegweiser" systemischen Arbeitens im psychosozialen Alltag vorgestellt. Als überlegener Bezugsrahmen qualifiziere sich die systemische Perspektive v.a. darin, dass sie die Autonomie der Betroffenen auch als Experten ihrer Lösungskonstruktionen umfassender respektiere. Ein überwiegend pragmatischer Arbeitsstil gehe allerdings auf Kosten einer Verstehensbegleitung, die gemeinsam mit den betroffenen Einzelnen den persönlichen Sinn ihrer Symptome nachvollziehe.

Im Schlusskapitel formuliert die Autorin idealtypisch, wie subjektorientierte und systemische Perspektiven zusammenzuführen seien, indem sie je nach Problemstellung wahlweise bevorzugt würden. Die "bedürfnisangepasste Behandlung" psychotischer Menschen in Finnland wird als Beispiel erfolgreicher Verknüpfung herangezogen.

Was bleibt auf der Habenseite zurück? Zunächst die sorgfältige, präzise Eingrenzung von Begriffen, der systematische Aufbau und die souverän-kritische Würdigung gängiger Konzepte wie Empowerment, Psychoedukation u.a. Trotz gelegentlich allzu verschachtelter Sätze - eine Verführung hoher Belesenheit! - dankt der Praktiker voller Respekt für ein exzellentes Nachschlagewerk. Der Lernende dagegen wünscht sich angesichts der verwirrenden Materialfülle zur besseren Orientierung ein nutzerfreundliches Layout. Einer aufmerksamen Lektorin wäre überdies die eine oder andere Wiederholung (z.B. zur DDR-Psychiatrie) nicht entgangen.

Hasso Klimitz, Potsdam

Email: HKlimitz@klinikumevb.de

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